Freisetzungsversuche im Fokus

Ein Blick auf europäische Entwicklungen

Zahlreich sind die Versprechen der Konzerne, wenn es um das Potential der Gentechnik geht. Doch an welchen gentechnisch veränderten Sorten wird in Europa tatsächlich geforscht, und mit welchen Zulassungen für den kommerziellen Anbau müssen wir in den nächsten Jahren rechnen?

Bananen, die nicht braun werden, und Baumwolle, die eine verbesserte Toleranz gegenüber Trockenheit aufweist. Sonnenblumen mit einem hohem Anteil an ungesättigten Fettsäuren und Mais mit einer „Kälte-Toleranz“. Das sind Beispiele für Pflanzen aus den Entwicklungs-Pipelines von Biotech-Konzernen und Forschungsinstituten - und die Liste ließe sich ohne weiteres deutlich verlängern. Die Pflanzen, oder besser: die Ideen für diese Pflanzen finden den Weg in die Medien und prägen das Bild dieser Technologie. Doch so lautstark sie oft angekündigt werden, so heimlich still und leise verschwinden sie oft wieder aus der Pipeline. Für eine realistische Einschätzung der in absehbarer Zeit marktreifen gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen ist man wohl besser beraten, in die Labors und auf die Felder zu schauen: Woran wird tatsächlich (noch) geforscht, und welche Projekte dienen vor allem propagandistischen Zwecken sowie dem Anlocken von Investoren?

Das GeN hatte sich diesem Thema bereits vor mehr als zehn Jahren gewidmet.1 Ein Ergebnis der damaligen Recherche war: Die Konzerne überboten sich in der Ankündigung von gv-Pflanzen mit Output-Eigenschaften, die die Qualität des Endprodukts verändern und somit einen Zusatznutzen für VerbraucherInnen oder die Lebensmittelindustrie versprechen. Die tatsächlichen Freisetzungen hingegen zeichneten ein ganz anderes Bild: Die Anzahl der Versuche mit Output-Eigenschaften hatte seit Mitte der 90er Jahre abgenommen, und die meisten in der EU freigesetzten gv-Pflanzen wiesen die altbekannten Input-Eigenschaften aus: Entweder waren sie tolerant gegen ein Herbizid oder sie produzierten ein Insektengift.

Über ein Jahrzehnt nach der ersten Analyse nehmen wir die globalen Pipelines der Gentechnik-Akteure derzeit nochmals genauer unter die Lupe. Im Folgenden wird ein Überblick über die in der EU genehmigten Freisetzungsversuche der letzten zwölf Jahre gegeben. Diese stellen eine wichtige Quelle für aktuelle Entwicklungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen dar. Denn bevor die im Labor entwickelten Pflanzen auf den Markt kommen, müssen sie unter kontrollierten Bedingungen im Freiland erprobt werden.

Freisetzungsversuche seit 2003

Von 2003 bis Ende 2014 sind insgesamt 831 Anträge auf Freisetzungsversuche in der EU genehmigt worden. Die meisten davon fanden zwischen 2006 und 2009 statt, seitdem ist die Zahl der jährlich genehmigten Versuche in jedem Jahr zurück gegangen, bis sie 2014 mit zwölf Genehmigungen ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte.2

Mit 470 Versuchsgenehmigungen ist gv-Mais die bei weitem am häufigsten freigesetzte Sorte. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um herbizidresistenten oder insektengiftigen Mais oder um gv-Sorten, die über beide dieser Eigenschaften verfügen. Nur zehn Versuche hatten andere Eigenschaften im Visier, an zweien davon wird noch immer oder wurde bis kurzem geforscht: Das belgische Vlaams Interuniversitair Instituut voor Biotechnologie (VIB) setzt seit 2012 Mais mit großen Blättern frei, und die Universität im katalanischen Lleida (Spanien) führte von 2005 bis 2014 Versuche mit Mais durch, der mit drei verschiedenen Vitaminen angereichert ist.

Die am zweithäufigsten freigesetzte gv-Pflanze ist die Kartoffel, mit der seit 2003 insgesamt 100 Versuche genehmigt wurden. Im Gegensatz zu Mais spielen die Züchtungsziele Herbizidresistenz und Insektengiftigkeit hier keine Rolle, stattdessen zielt die gentechnische Veränderung in erster Linie auf eine verbesserte Produktqualität sowie die Pilzresistenz. 57 Versuche hatten den Stärkegehalt beziehungsweise eine veränderte Stärkezusammensetzung zum Ziel, wodurch die Kartoffeln besser industriell genutzt werden können. Fast die Hälfte dieser Freisetzungen wurde von der BASF durchgeführt, deren Amflora-Kartoffel von 2011 bis 2013 für den Anbau in der EU zugelassen war. Ein weiteres beliebtes Züchtungsziel bei Kartoffeln ist die Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans). 23 Versuche wurden seit 2003 dazu genehmigt; in den Anfangszeiten stellte die BASF auch hier den Haupt-Akteur dar. Die Entwicklung der als Modena bezeichneten Phytophtora-resistenten Kartoffel wurde in Europa jedoch 2012 eingestellt. Inzwischen sind auch andere Akteure, wie die niederländische Wageningen University, in dieses Forschungsfeld eingestiegen. Weitere Freisetzungsversuche zielten auf die Nutzung von Kartoffeln als Pharmapflanzen oder dienten der Produktion von biologisch abbaubarem Kunststoff, auch Versuche mit trockentoleranten und Nematoden-resistenten Kartoffeln sind genehmigt worden. Diese Forschungen scheinen momentan jedoch nicht weiter verfolgt zu werden.

Auch bei Baumwolle und Zuckerrübe - mit 60 beziehungsweise 41 genehmigten Versuchen seit 2003 -, scheint die Entwicklung von Output-Eigenschaften in weiter Ferne zu liegen. Bei den Freisetzungsversuchen mit gv-Baumwolle, die bis Anfang letzten Jahres in Spanien durchgeführt wurden - fast alle von Bayer CropScience und Dow AgroSciences -, handelte es sich um herbizidtolerante und/oder insektengiftige Pflanzen. Ebenso bei der Zuckerrübe: Ein Großteil der Freisetzungen wurde mit der von Monsanto und KWS gemeinsam entwickelten herbizidtoleranten Sorte H7-1 (oder davon abgeleiteter Linien) durchgeführt. An zweiter Stelle kam die von Syngenta entwickelte Zuckerrübe SBVR111, die gegen die Pflanzenkrankheit Rizomania resistent sein soll. Teilweise wurden auch beide Sorten miteinander gekreuzt. Der schweizerische Konzern verfügt noch über eine bis 2017 gültige Freisetzungsgenehmigung in Schweden. Auch die Versuche mit Zuckerrüben werden von großen Konzernen - allen voran Monsanto, KWS und Syngenta - dominiert, die für alle bis auf zwei Versuche verantwortlich waren.

Transgene Bäume

Der drastische Rückgang der Freisetzungsversuche in den letzten Jahren ist vor allem mit der breiten gesellschaftlichen Kritik an der Technologie und einem schrittweisen (Teil-)Rückzug der meisten Konzerne zu erklären. So hat die BASF Anfang 2012 die Entwicklung und Kommerzialisierung aller gv-Pflanzen gestoppt, die ausschließlich für den europäischen Markt bestimmt waren (nicht jedoch die bereits laufenden Zulassungsverfahren), und auch Monsanto führt hierzulande kaum noch Forschungen durch. Die Forschung von Seiten öffentlicher Institutionen hingegen ist nur leicht zurückgegangen. Neun der zwölf im vergangenen Jahr zugelassenen Freisetzungsversuche werden von Universitäten oder öffentlichen Forschungsinstitutionen durchgeführt. Damit einher geht eine Verschiebung in den dominierenden Sorten und Züchtungszielen: Während Großkonzerne vor allem auf solche Sorten und Eigenschaften setzen, die in kürzester Zeit großen Gewinn versprechen - beispielsweise durch den Verkauf von Herbiziden und dem dazu passenden toleranten gv-Saatgut, suchen sich öffentliche Institutionen häufig Nischen und experimentieren an einem breiteren Spektrum an gv-Sorten und Eigenschaften. Ein Beispiel hierfür ist die Forschung an gv-Bäumen: Diese wird in der EU fast ausschließlich von öffentlichen Institutionen durchgeführt; das einzige beteiligte Unternehmen ist das schwedische SweTree Technologies AB.

Seit 2003 wurden pro Jahr zwischen einem und sechs Versuche mit gv-Bäumen genehmigt. Fünfzehn dieser Genehmigungen sind derzeit noch gültig, drei davon bis über das Jahr 2020 hinaus. Im Fokus stehen insbesondere gv-Espen und -Pappeln; Züchtungsziele betreffen einerseits die Produktqualität - zum Beispiel veränderte Biomasse-Produktion, die Zusammensetzung des Holzes, seine Eigenschaften und Qualität - und andererseits agronomische Eigenschaften wie schnelles Wachstum und - auch hier - die verbesserte Trockentoleranz. Auch die Virusresistenz von Apfel- und Pflaumenbäumen spielt eine gewisse Rolle. Keiner der in der EU aktuell freigesetzten gv-Bäume verfügt jedoch über eine Herbizidtoleranz oder ein insektengiftiges Bt-Toxin.

Was blüht uns in der Zukunft?

Die Analye der Freisetzungsversuche zeigt: Auch in der EU konzentriert sich die Forschung und Entwicklung von gv-Pflanzen größtenteils auf einige wenige gv-Sorten mit einigen wenigen Eigenschaften. Mais, Kartoffel, Baumwolle und Zuckerrübe - diese vier gv-Sorten machen über 80 Prozent aller in den Jahren 2003 bis 2014 genehmigten Freisetzungsversuche aus. Im Gegensatz zur globalen Situation spielt gv-Soja keine Rolle, und auch gv-Raps wird seit Jahren nicht mehr freigesetzt - ganz anders als in den 90er Jahren, als Raps die am zweithäufigsten freigesetzte gv-Pflanze war. Stattdessen wird an herbizidtoleranten beziehungsweise Rizomania-resistenten Zuckerrüben und Phytophtora-resistenten Kartoffeln geforscht. Die technische Entwicklung dieser beiden gv-Sorten ist bereits als abgeschlossen verkündet worden, somit dürfte in technologischer Hinsicht dem Einreichen von Zulassungsanträgen in naher Zukunft nicht mehr viel im Wege stehen. Doch jenseits davon wird es dünn. Pharmapflanzen, mit Vitaminen angereicherter Mais oder Gurken mit süßem Geschmack scheinen - jedenfalls mit Blick auf die Freisetzungen in der EU - auch heute noch meilenweit von der Marktreife entfernt. Was aus den gv-Bäumen wird, bleibt abzuwarten.

 

Tabellen und Diagramme zu den Freisetzungsversuchen in der EU von 2003-2014 können hier als pdf-Datei heruntergeladen werden: www.gen-ethisches-netzwerk.de/files/gid228_bundschuh.pdf.

  • 1Benno Vogel und Christof Potthof: „Verschobene Marktreife - Materialien zur zweiten und dritten Generation gentechnisch veränderter Pflanzen“, Dezember 2003. Download unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/804.
  • 2Während die Genehmigungen für Freisetzungsversuche von der EU veröffentlicht werden, ist die Zahl der in einem Jahr tatsächlich durchgeführten Versuche schwieriger zu ermitteln: Einerseits werden Freisetzungen für gv-Pflanzen in Europa oft für mehrere Jahre hinweg bewilligt, dann aber ohne weitere Mitteildung doch nicht zu Ende geführt. Andererseits kann in ein und demselben Antrag die Freisetzung einer gv-Pflanze an verschiedenen Orten beantragt werden.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
228
vom Februar 2015
Seite 20 - 21

Anne Bundschuh arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung und koordiniert dort das Netzwerk Gerechter Welthandel. Von 2012 bis 2017 war sie Mitarbeiterin des GeN.

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