Verirrt im Patentrecht
Können EU-Parlament, -Kommission und -Mitgliedsländer Patente auf Pflanzen aus neuer Gentechnik verbieten?
Im Zusammenhang mit der geplanten Deregulierung der neuen Gentechnik (NGT) schlägt das EU-Parlament vor, Patente auf NGT-Pflanzen zu verbieten. Doch dieser Vorschlag ist nicht umsetzbar, denn Patente auf gentechnisch-veränderte Pflanzen sind in der EU erlaubt. So droht der Blick von den tatsächlichen, dringenden Problemen abzurücken.
Im Juli 2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Deregulierung von Pflanzen aus neuer Gentechnik vorgelegt.1 Kernidee ist eine neue Kategorie im Gentechnikrecht, mit deren Hilfe rund 90 Prozent der NGT-Pflanzen, die derzeit in der Entwicklung sind, mit konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden und von der Pflicht zur Risikoprüfung befreit werden sollen.
Im begleitenden Text der EU-Kommission taucht auch das Problem der Patente auf: „Die Frage der Patente auf NGT wurde von vielen Interessenträgern angesprochen. Züchter und Bauernverbände haben Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit geäußert, dass der Zugang der Züchter zu patentiertem genetischem Material und der Zugang der Landwirte zu Pflanzenvermehrungsmaterial aus NGT-Pflanzen sichergestellt werden muss, da bestimmte NGT-Pflanzen nicht von Pflanzen zu unterscheiden sind, die mit herkömmlichen Züchtungsverfahren gewonnen wurden.“
Allerdings präsentierte die EU-Kommission keine konkreten Gesetzesvorschläge, um das Problem zu lösen. Stattdessen wurde lediglich ein Bericht bis 2026 zum Thema angekündigt.
Lockvogel im EU-Parlament
Im EU-Parlament wurde der Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von NGT-Pflanzen keineswegs nur mit Zustimmung aufgenommen. Dass dieser Vorschlag trotzdem in abgeänderter Form Anfang Februar vom Parlament angenommen wurde, hing gerade mit der Frage der Patentierung zusammen. Die geplante Deregulierung wurde überraschenderweise mit der Patentierbarkeit der Pflanzen verknüpft. Das wahrscheinliche Kalkül der Befürworter*innen: Während die Deregulierung von NGT-Pflanzen äußerst strittig ist, kann man gegen die Patentierung von Saatgut breite Mehrheiten mobilisieren.
Tatsächlich forderten Abgeordnete aus vielen Parteien ein Verbot der Patentierung der NGT-Pflanzen, wenn diese nach dem Wortlaut der neuen Regulierung mit der konventionellen Züchtung gleichgestellt würden. So versuchte man teilweise erfolgreich, Kritiker*innen der Deregulierung ins Boot zu holen: Wenn man Patente auf Saatgut verbieten wollte, ginge das nur im ‚Doppelpack‘. Man musste zunächst einer Gleichstellung von NGT-Pflanzen mit konventioneller Zucht zustimmen, um diese von Patenten befreien zu können. Die Rechnung ging tatsächlich auf: Der Vorschlag der Berichterstatterin Jessica Polfjärd (EPP), wurde angenommen.
Was die Abgeordneten nicht beachteten: Ihr Beschluss zum Verbot der Patentierung von NGT-Pflanzen ist nicht umsetzbar. Die EU erteilt keine Patente. Grundlage dafür ist vielmehr das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), nach dem das Europäische Patentamt (EPA) Patente prüft und erteilt. Auch die nationalen Patentgesetze der 39 Vertragsstaaten des EPA sind mit dem EPÜ harmonisiert. Nach dieser Rechtslage sind Patente auf die gentechnische Veränderung von Pflanzen ausdrücklich erlaubt. Auch die 27 Mitgliedsländer der EU müssen sich an diese Vorgabe halten, so lange diese nicht per einstimmigem Beschluss von allen 39 Mitgliedsländern geändert wird. Das erscheint derzeit allerdings als ausgeschlossen und stünde möglicherweise auch im Gegensatz zu anderen internationalen Verträgen.
Die Parlamentarier*innen hätten dieses Problem sehr wohl zur Kenntnis nehmen können: So hatte im Vorfeld der Abstimmung unter anderem auch das EPA darauf hingewiesen, dass eine künftige EU-Regulierung von GVOs keinen Einfluss auf die Frage der Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen haben kann.
Dass eine Mehrheit der Parlamentarier*innen trotzdem dem Vorschlag der Berichterstatterin zustimmte, lag wohl nicht darin, dass man tatsächlich glaubte, das Problem der Patentierung von Saatgut tatsächlich lösen zu können. Vielmehr wollte man das kontroverse Thema der Deregulierung von NGT-Pflanzen rechtzeitig vor der EU-Wahl vom Tisch bekommen und brauchte dafür eine Mehrheit.
Die Achterbahn im Ministerrat ...
Auch die letzten beiden Ratspräsidentschaften von Spanien und Belgien verfolgten die Strategie, die Frage der Deregulierung mit dem Problem der Patentierung zu verknüpfen, um rasch eine Mehrheit unter den Mitgliedsländern zu bekommen. Tatsächlich diskutierten die Expert*innen der Mitgliedsländer von Juli 2023 bis Ende Juni 2024 wohl sehr viel öfter über Patente als über die Details der eigentlichen Deregulierung. Aber anders als das Parlament, war man hier bemüht eine rechtskonforme Regelung zu finden.
Die belgische Ratspräsidentschaft versuchte zuletzt einen Mittelweg: Die Firmen, die ihre NGT-Pflanzen nach dem neuen Gentechnikrecht wie konventionell gezüchtete Pflanzen vermarkten wollten, sollten freiwillig darauf verzichten, eine bestimmte Form von Patenten, sogenannte Produktpatente, auf Pflanzen anzumelden. Der Grund: Produktpatente können den Zugang zu biologischen Ressourcen, der der Züchtung zugrunde liegt, behindern oder blockieren. Deswegen sollten lediglich Patente auf die gentechnischen Verfahren zugelassen werden, wenn NGT-Pflanzen nach der neuen GVO-Regulierung wie Pflanzen aus konventioneller Zucht vermarktet würden. Pflanzen mit den gleichen Merkmalen, die aber aus anderen Verfahren stammen, wären dann für weitere Züchtung frei verfügbar, so der Plan.
Tatsächlich werden bei NGT-Pflanzen derzeit Patente sowohl auf die Produkte – Samen, Pflanzen, Ernte und biologisches Material, das zur Züchtung verwendet wird – als auch auf die Verfahren (Gentechnik) erteilt. Produktpatente decken alle Verwendungen des patentierten Materials ab (‚absoluter Produktschutz‘). Prozesspatente können dagegen so ausgelegt werden, dass sie nur die Produkte abdecken, die durch die patentierten Verfahren gewonnen werden. So hätte der Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft dazu beitragen sollen, Patentmonopole auf das von anderen Züchter*innen benötigte biologische Material zu vermeiden.
… scheitert kurz vor dem Ziel
Der Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft scheiterte allerdings im Praxistest:
- Der Vorschlag vermischt Bereiche – Risikobewertung und Patentrecht. Dies führt zu Rechtsunsicherheit und kann zu Gerichtsverfahren mit Unternehmen führen, die sich diskriminiert fühlen.
- Er ignoriert u. a., dass Patentansprüche nur während des Patentprüfungsverfahrens zurückgezogen werden können. Sobald ein Patent erteilt ist, sind die Patentinhaber*innen nicht mehr in der Lage, ihre Ansprüche fallen zu lassen. Viele europäische Patente auf NGT-Pflanzen wurden bereits erteilt, ohne dass die Unternehmen über die Pläne der EU informiert gewesen wären. Daher wären Patentinhaber*innen gezwungen, ihre Pflanzen als gentechnisch verändert zu vermarkten, auch wenn die Kriterien für die Deregulierung erfüllt sind. Das macht die oben erwähnten Gerichtsverfahren sehr wahrscheinlich.
- Selbst wenn die Ansprüche auf NGT-Pflanzen zurückgezogen würden, könnten die Unternehmen weiterhin Produktpatente auf Pflanzen beanspruchen, die durch Zufallsmutagenese gewonnen werden.
So ist es nicht erstaunlich und zu begrüßen, dass diese ‚Lösung‘ keine Mehrheit unter den EU-Mitgliedsländern gefunden hat.
Das eigentliche Problem
In Europa wurden bereits tausende Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere erteilt. Diese Gentechnik-Patente wurden von der EU 1998 erstmals erlaubt (Richtlinie 98/44/EG).2 Das Europäische Patentamt hat diese Regelung der EU ebenso übernommen wie seine 39 Vertragsstaaten. Damit kann die EU diese Regelung nicht mehr im Alleingang rückgängig machen. In Europa ausdrücklich erlaubt sind damit aber nur Patente auf Gentechnik-Pflanzen. Wichtig zu wissen: Diese Erlaubnis ist eine Ausnahme, weil laut dem EPÜ (Art. 53 b) Patente auf Pflanzensorten und Pflanzenzüchtung ansonsten verboten sind.
Ursprünglich setzten Konzerne wie Bayer und Monsanto die Patentierung durch, um ihr transgenes Saatgut zu einem lukrativen Geschäftsmodell zu machen. Inzwischen werden auch die Pflanzen aus neuer Gentechnik regelmäßig zum Patent angemeldet. Große internationale Konzerne wie Corteva (ehem. DowDupont) und Bayer sind hier führend. Mittelständische europäische Züchter*innen, die mit neuer Gentechnik arbeiten wollen, müssen oft Verträge mit den großen Konzernen unterschreiben und geraten so in neue Abhängigkeiten.
In vielen Fällen ist die Reichweite dieser NGT-Patente keineswegs auf die Gentechnik-Pflanzen begrenzt. Der Trick: Beansprucht werden die jeweiligen Genveränderungen auch dann, wenn sie aus zufälligen Mutationsverfahren (unter Einfluss von Sonnenlicht, Chemikalien oder Radioaktivität) entstanden sind. So wurden für die Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) Patente auf Mais erteilt, die aus konventioneller Züchtung stammen, aber mit der Genschere CRISPR-Cas und per Zufallsmutagenese ‚nachgemacht‘ werden können. Firmen wie die KWS wollen mit diesen Patenten den Zugang zur biologischen Vielfalt auch dann kontrollieren, wenn keine Gentechnik eingesetzt wird.
Einige hundert Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen wurden vom EPA bereits erteilt, obwohl die EU schon 2017 versucht hatte, diese Entwicklung zu stoppen. Diese Patente betreffen mehr als 1.000 europäische Pflanzensorten. Eine Initiative zum Verbot von Patenten auf konventionell gezüchtete Pflanzen wäre also überaus dringlich: Kommt es hier nicht zu einer klaren und rechtssicheren Auslegung der Verbote, werden Konzerne wie Bayer und Corteva, BASF und Syngenta schon bald jegliches Saatgut kontrollieren können – mit oder ohne Gentechnik.
Die Frage ist nicht, ob NGT-Pflanzen patentiert werden – davon ist unter der aktuellen Gesetzgebung sicher auszugehen. Wer NGT-Pflanzen anbaut, wird Patente ernten. Die entscheidende Frage ist, ob verhindert werden kann, dass diese Patente auch die konventionelle Zucht bzw. zufällig entstandene Genvarianten betreffen.
Eine mögliche Lösung
Da Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen aus Zufallsmutagenese nie ausdrücklich erlaubt wurden, muss auch für entsprechende Verbote das EPÜ nicht geändert werden. Hier geht es nur um die Auslegung bestehender Verbote, nach denen Patente auf Pflanzenzucht und Pflanzensorten ja verboten sind. Zur Konkretisierung dieser Verbote reicht ein Mehrheitsbeschluss im Verwaltungsrat des EPA. Die EU könnte diese Mehrheit herbeiführen. Sie könnte dazu beitragen, indem sie ihre Richtlinie 98/44 abändert, um klarzustellen, dass nur die Verfahren zur gentechnischen Veränderung von Pflanzen (und Tieren) patentiert werden können, nicht aber die daraus gewonnenen Produkte. Darüber hinaus sollten Patente auf Verfahren konventioneller Methoden (zufällige Mutagenese) und auf Pflanzen, die durch diese Methoden gewonnen wurden, vollständig verboten werden.
Zumindest die Unabhängigkeit von traditionellen Züchter*innen in Europa könnte so erhalten bleiben. Der dafür notwendige Zugang zu biologischer Vielfalt, auch um auf Klimawandel und Artensterben zu reagieren, könnte durch Patente nicht kontrolliert, behindert oder blockiert werden.
- 1Europäische Kommission (2023): Regulationsentwurf (EU) 2017/625. Online: www.kurzlinks.de/gid270-ab.
- 2Europäisches Parlament und Rat (1998): Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. Online: www.kurzlinks.de/gid270-ac. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 24.07.24]
Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.