Im Wettbewerb kein Platz für Ethik?

Einige Hintergründe zur Debatte um die nichtinvasiven Bluttests

Die Einführung der nichtinvasiven Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 haben eine Diskussion um die Rolle und die Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ausgelöst.

Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das mächtigste Gremium im Gesundheitswesen und regelt im Rahmen der „Selbstverwaltung Ärzte Krankenkassen“, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden. Durch einen Interessensausgleich zwischen Geldgebern (Krankenkassen) und Leistungserbringer*innen (Ärzt*innen) sollte die Versorgung für gesetzlich Versicherte verbessert werden. Die Krankenkassen gelten dabei als Vertretung der Versicherten, die die Beitragsgelder möglichst wirtschaftlich für eine gute Versorgung einsetzen. Die Leistungserbringer*innen bringen als Interessensvertretung der Krankenhäuser und der (Zahn-)Ärzteschaft den aktuellen Stand des medizinischen Wissens und die Verdienstinteressen der Ärzteschaft ein.

Von vielen Politiker*innen wird das Gremium seit Jahrzehnten argwöhnisch beäugt. Der Vorwurf, sich von der Öffentlichkeit abzuschirmen, kann aber seit 2004 nicht mehr gemacht werden, als Patientenbeteiligung und das IQWiG (Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) eingeführt wurden. Seit 2008 tagt der G-BA in Berlin und zumindest im Plenum öffentlich. Ab Januar 2020 wird die Sitzung außerdem live im Internet übertragen und auch noch später abrufbar sein.

Im G-BA-Plenum gibt es 13 Stimmen: fünf Stimmen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV Spitzenverband), fünf Stimmen auf die sogenannten Leistungserbringer – also die Vertretungen der Ärzt*innen (Kassenärztliche Bundesvereinigung, KBV), der Zahnärzt*innen (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, KZBV) und der Krankenhäuser (Deutsche Krankenhausgesellschaft, DKG), deren Stimmanteile je nach Betroffenheit bezogen auf die jeweilige Entscheidung verteilt werden. Diese beiden Player – also GKV und Leistungserbringer – werden auch als „Bänke“ bezeichnet. Die restlichen drei Stimmen haben die unparteiischen Mitglieder. Die Patientenvertretung (PatV) hat kein Stimm-, aber ein Mitberatungsrecht und das Recht, eigene Anträge einzubringen.

Durch den fortschreitenden Einzug von Marktmechanismen in die Gesundheitsversorgung haben sich die Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren stark verändert. So haben zum Beispiel im stationären Bereich durch die Möglichkeit der Privatisierung von Krankenhäusern, sowie im ambulanten Bereich durch die Ausweitung von privaten Zusatzangeboten massiv Gewinninteressen Einzug erhalten. Krankenhäuser kämpfen heute um möglichst gewinnbringende Patient*innen, die medizinische Sinnhaftigkeit eines Eingriffs gerät teilweise zur Nebensache. Die Ärzteschaft möchte ihre Leistungen lieber privat als im Rahmen der GKV anbieten.

Der Wettbewerb unter den Krankenkassen in Verbindung mit dem freien Wahlrecht der Versicherten hat das Gesicht der gesetzlichen Krankenversicherungen grundlegend verändert. Sie bieten heute zum Beispiel im Rahmen von Satzungsleistungen Spezialleistungen exklusiv für die eigenen Versicherten an. Aus Sicht der Versichertengemeinschaft sinnvolle Leistungen für alle gesetzlich Versicherten werden deshalb teilweise nicht mehr gewollt, der GKV-Spitzenverband nimmt als gemeinsame Vertretung zum Teil kaum noch nachvollziehbare Positionen ein. Dadurch bekommt die PatV eine immer größere Bedeutung. Mittlerweile werden die weitaus meisten Anträge auf Aufnahme von Leistungen von der Patient*innenseite gestellt. Ohne Stimmrecht ist dies jedoch ein stumpfes Schwert.

Vor dem Jahr 2004 sind viele Entscheidungen eher „eminenzbasiert“ getroffen worden.1 Seitdem muss für die Aufnahme von neuen Leistungen oder Methoden in den Leistungskatalog der GKV zwingend die Evidenz beachtet werden. Dazu wird die vorhandene wissenschaftliche Literatur strukturiert recherchiert und bewertet. Dies wird in der Regel vom IQWiG, einem unabhängigen Institut des G-BA, durchgeführt und dauert bisher etwa 18 Monate. Die unter anderem daraus resultierende lange Verfahrensdauer von regelhaft meist mindestens drei – manchmal auch mehr als zehn – Jahren wird vielfach kritisiert. Sie wurde durch neue Gesetze auch schon verkürzt.

Einführung des NIPT im G-BA

Die nichtinvasiven Bluttests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 werden im G-BA und auch in der PatV schon seit 2013 aufgrund des Antrags eines Herstellers diskutiert. Dabei ging es zunächst um die Bewertung eines Medizinproduktes als neue Methode. In der PatV lagen (und liegen) die Positionen dazu sehr weit auseinander, sie hatte sich schon damals enthalten. Der EU-weit als Medizinprodukt zugelassene Test wurde zunehmend Schwangeren als Privatleistung für mehr als 900 Euro angeboten. Dies ist in der Regel ein Grund für die Patientenvertretung, einen Antrag hinsichtlich der Evidenzlage zu prüfen. Ein wichtiges Argument war auch die Vermutung, dass unnötige Fruchtwasseruntersuchungen und Spontanaborte vermieden werden könnten. Auf der anderen Seite gab es aber massive Vorbehalte wegen der erkennbar selektiven Konsequenzen vor allem für Föten mit Downsyndrom (Trisomie 21).

Der Antrag auf Aufnahme eines Methodenbewertungsverfahrens wurde dann im April 2016 gemeinsam durch die GKV, die KBV und die drei Unparteiischen des G-BA gestellt und am 18. August 2016 im öffentlichen Plenum beschlossen. Hiergegen gab es unter anderem vom Gen-ethischen Netzwerk massive Kritik, die sich auch gegen die Verabschiedung in der politischen Sommerpause richtete.2 Von einem Verheimlichungsversuch ist jedoch nicht auszugehen, vielmehr hatten Vertreter*innen des G-BA seit langem mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Parlament über mögliche gesetzliche Regelungen diskutiert. Strittig ist, ob der G-BA auch ethische, oder nur evidenzbasierte Entscheidungen fällen könne. Sicherlich fließen in viele Entscheidungen ethische Gesichtspunkte ein, die Debatten und Beschlüsse des G-BA können aber eine dringend zu führende gesellschaftliche Debatte über pränatale Diagnostik nicht ersetzen. Diese kam seit dem Sommer 2016 langsam in Gang.

Nachdem im April 2018 das Ergebnis der Evidenzbewertung für NIPT auf Trisomien 13, 18 und 21 des IQWiGs feststand, legten die Bänke einen konsentierten Richtlinientext zur Veränderung der Mutterschaftsrichtlinien vor. Damit war die Aufnahme des Testes in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen im Prinzip bereits beschlossen. Die PatV forderte ergänzende Regelungen ein, nämlich die Tests erst nach der 12. Schwangerschaftswoche durch die GKV zu übernehmen und mehr Beratung anzubieten. Beide Vorschläge wurden im Verlauf der intensiven internen Debatte als nicht konsensfähig wieder zurückgezogen, obwohl sie teilweise auch von Stimmberechtigten unterstützt wurden.

In der verabschiedeten Änderung der Mutterschaftsrichtlinie fehlt eine eindeutige Definition der Leistungsberechtigten. Der bisher benutzte vage Begriff einer Risikoschwangerschaft wurde vermieden und durch die noch unklarere Neukreation einer „Schwangerschaft mit besonderem Überwachungsbedarf“ ersetzt. Es fehlt auch ein flankierender Beschluss zur Beobachtung der Entwicklungen in der Anwendung des NIPT bei GKV-Versicherten.

Derzeit ist noch die zwingend notwendige Versicherteninformation beim IQWiG in Arbeit. Erst wenn diese Information fertig gestellt ist, können Ende 2020 die geänderten Mutterschaftsrichtlinien in Kraft treten.

Der Gesetzgeber hätte also immer noch ausreichend Zeit, endlich diese Debatte zu führen. Derzeit ist aber angesichts einer eher fragilen großen Koalition eine zeitnahe Gesetzesinitiative nicht absehbar.

Politische Debatte der Patient*innenvertretung

Die innerhalb der PatV geführte Debatte wurde vor allem zwischen frauenpolitischen und behindertenpolitischen Positionen ausgetragen und reflektiert so die gesellschaftliche Debatte, aber auch die Zusammensetzung der PatV aus Betroffenen- und Patient*innenvertreter*innen. Sie wurde phasenweise sehr leidenschaftlich ausgetragen und führte zu einem Patt.

Angesichts einer schleichenden Einführung der nichtinvasiven Bluttests und deren privater Vermarktung stellte sich die Frage der Leistungserbringung innerhalb der GKV. Ärzt*innen empfehlen schon aus haftungsrechtlichen Gründen eine frühe genetische Testung. Schwangere werden so verunsichert und nehmen im Zweifel solche Angebote wahr, auch wenn sie sie selber zahlen müssen. Dazu kommt, dass einige Krankenkassen den Test schon als Einzelfallentscheidung bezahlen, so entsteht eine zunehmende soziale Schieflage. Auch gibt es Sorgen, dass die Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt werden könnten, auch vor dem Hintergrund einer aktiven „Lebensschutz“-Bewegung und eines gesellschaftlichen Rechtsrucks.

Die „Eugenik von unten“ ist ein zwar kaum mit eindeutigen Zahlen fassbares, aber vermutlich wachsendes Phänomen. In meiner Wahrnehmung gibt es ein schwindendes Bewusstsein für die politische Dimension der Entscheidung für pränatale Diagnostik. Die hohe Bewertung individuellen Glücks führt quasi zwangsläufig zur Entscheidung für pränatale Diagnostik. Die Verbände behinderter Menschen sind besorgt darüber, dass die Akzeptanz bestimmter Beeinträchtigungen weiter schwinden könnte.

Dazu kommt, dass der NIPT eine Art Früherkennung für Arme wird. Andere vorgeburtliche Diagnostik wie zum Beispiel die Ersttrimesteruntersuchung bleiben Privatleistung, können aber sehr viel mehr Entwicklungsstörungen erkennen.3 Die Zahl der verordneten NIP-Tests auf Trisomie 13, 18 und 21 wird vermutlich nach der Einführung in die GKV steigen. Ob dann noch Fruchtwasseruntersuchungen mit der entsprechenden Gefährdung des Fötus eingespart werden, ist fraglich.

Was also jetzt dringend ansteht, ist eine gesellschaftliche Debatte, die überall und nicht zuletzt intensiv im Bundestag geführt werden muss, gerade angesichts der Markteinführung der nächsten genetischen Tests auf fetale „Abweichungen“.

  • 1Das bezeichnet spöttisch eine Medizin, die sich nicht daran orientiert, was als bewiesen gelten kann, sondern daran, was eine „(graue) Eminenz“ sagt.
  • 2www.gen-ethisches-netzwerk.de/fortpflanzung-und-schwangerschaft/praenat…
  • 3Es gibt Diskussionen darum, ob ein Antrag der PatV auf Aufnahme des Ersttrimesterscreeinings in die GKV-Leistungen eine Debatte um die Kriterien dafür befördern könnte.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
252
vom Februar 2020
Seite 15 - 16

Gregor Bornes, Patientenvertreter im G-BA seit 2004, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen und seit 1993 Mitglied im GeN.

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