Patentamt seit 20 Jahren in der Kritik

Chronologie

Natürlich ist immer auch irgendwas schon vorher passiert. Nichts und vor allen Dingen keine politische Initiative fällt einfach so vom Himmel: Vor der Gründung von „Kein Patent auf Leben!" gab es zum Beispiel in München die Bürgerinitiative „Anti-Gen“. Greenpeace und andere hatten bereits gegen Patente auf Pflanzen protestiert. Das Gen-ethische Netzwerk war im September 1986 gegründet worden. Trotzdem bedeutete die Gründung von „Kein Patent auf Leben!" einen besonderen Schritt hin zu einer systematischen Beobachtung und Kritik der Patentierungspraxis in den Bereichen Gen- und Biotechnologien, Landwirtschaft und Medizin.

1992

23. Januar Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Anfänge von Kein Patent auf Leben!: „Anti-Gen“ trifft sich „an diesem Montagabend“. „Es geht um eine Klage gegen etwas surreal Anmutendes, das Realität wird: das erste europäische Patent auf ein Tier. ‚Kein Patent auf Leben!‘, so beschließen die acht an diesem Abend, soll der Klagefond heißen, den sie bei einer Bank einrichten werden.“
13. Mai Das Europäische Patentamt (EPA) erteilt das Patent auf „die Krebsmaus“ (EP 169672). In dieser Zuchtlinie wurden Hausmäusen menschliche Brustkrebsgene in ihr Erbgut eingeschleust. Die Tiere neigen nun zur Tumorbildung und gelten daher als besonders geeignete Versuchstiere in der Krebsmedizin.Unmittelbar danach wird die Münchener Erklärung verabschiedet. UnterstützerInnen fordern unter anderem den sofortigen Widerruf des Patents auf die Krebsmaus, keinen Patentschutz für genmanipulierte Lebewesen, keinen Patentschutz für Produkte von und aus diesen Lebewesen wie Nahrungsmittel, Arzneimittel, Kosmetika oder für Verfahren zu deren Herstellung und keinen Patentschutz für ,,Bausteine" des Lebens wie Chromosomen, Gene, DNA-Sequenzen sowie für deren Herstellung.
16. Mai Die GID-Redaktion schreibt im Juni 1992: „Auf einem Treffen, das [am 16. Mai d.J.] beim Gen-ethischen Netzwerk in Berlin stattfand und an dem VertreterInnen von Umwelt-, Tierschutz- und Anti-Gentech-Organisationen teilnahmen, wurde ein gemeinsamer Einspruch aller beteiligten Gruppen [gegen das Krebsmaus-Patent] beschlossen. Die Kampagne steht unter dem Motto ‚Kein Patent auf Leben’ und wird eine Koordinationsstelle in München haben.“

1993

13. Februar 17 Einsprüche gegen das Krebsmaus-Patent werden beim EPA eingereicht. Hinter diesen Einsprüchen stehen etwa 300 Organisationen und Institutionen. Weitere 100.000 Personen schließen sich durch ihre Unterschrift der Kampagne an.

1994

14. September Das EPA erteilt ein Patent auf eine Methode zur Kontrolle des Pilzbefalls mit Zubereitungen aus extrahiertem Öl aus dem Neem-Baum (EP 436257).

1995

Oktober Bündnisgrüne im EU-Parlament, die internationale Biolandbau-Organisation IFOAM und die indische Stiftung für Wissenschaft, Technik und natürliche Ressourcenpolitik erheben Einspruch gegen das Neem-Patent, das das EPA ein Jahr zuvor erteilt hat. Sie sprechen von „Genpiraterie“.

1997

Greenpeace legt Einspruch gegen ein Patent auf gentechnisch veränderte Sojabohnen der Firma Monsanto ein (EP 546090). Über 35 Organisationen aus ganz Europa schließen sich zur European Campaign on Biotechnology Patents zusammen. Ziel ist die europaweite gemeinsame Lobbyarbeit zu den Verhandlungen über die so genannte Biopatent-Richtlinie der EU.

1998

Mai „Das Europaparlament [segnet] die umstrittene ‚Richtlinie zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen‘ in zweiter und abschließender Lesung endgültig ab.“(GID 127, Juni 1998)

2000

22. Februar Die Umweltorganisation Greenpeace mauert das Europäische Patentamt wegen der Erteilung des so genannten „Edinburgh-Patentes“, eines Patent auf menschliche Embryonen (EP 695351), zu.
9./10. Mai Nach zweitägiger mündlicher Verhandlung schließt die Einspruchskammer das Verfahren mit dem vollständigen Widerruf des Neem-Patents (EP 436257) ab.

2001

Greenpeace und Misereor legen gemeinsam Einspruch gegen ein Patent der Firma DuPont auf traditionelle Maissorten (EP 744888) ein. Auch der mexikanische Staat spricht gegen das Patent ein. Das Patent wurde später von der Einspruchskammer als Ganzes wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen.

2002

24. Juli Das EPA erteilt das Patent mit der Nummer EP 1069819 auf einen konventionell gezüchteten Brokkoli. Das Gemüse enthält durch Zuchtfortschritt einen erhöhten Gehalt an Glucosinolaten, denen eine krebshemmende Wirkung nachgesagt wird. Das Patent entwickelt sich über die Jahre zu einem Präzedenfall für die Patentierung konventionell gezüchteter Pflanzen.

2003

April/Mai Die Saatgutunternehmen Limagrain (Frankreich) und Syngenta (Schweiz) legen Einsprüche gegen das Brokkoli-Patent ein.
26. November Das Europäische Patentamt erteilt ein Patent (EP 1211926) auf traditionell gezüchtete Tomaten.

2004

Februar Indische Landwirte, Kein Patent auf Leben! und Greenpeace erheben Einspruch gegen das Patent auf indischen Weizen (EP 445929). Es war dem US-Gentech-Konzern Monsanto im Juni 2003 erteilt und nach dem Einspruch ohne Verhandlung durch das Europäische Patentamt zurückgenommen worden. Es ist damit erloschen.
April Greenpeace-AktivistInnen stellen Eisblöcke vor den Eingang des Europäischen Patentamtes, weil ein Patent auf tiefgekühlte menschliche Embryonen erteilt wurde (EP 1121015).
Oktober Greenpeace klagt wegen des Verbots der Patentierung der industriellen Nutzung menschlicher Embryonen vor dem Bundespatentgericht gegen das Patent des deutschen Klonforschers Oliver Brüstle (DE 19756864), .

2007

Globaler Aufruf von No Patents on Seeds. Anlass ist das Verfahren um das Brokkoli-Patent.

2009

Greenpeace, Landwirte, tausende von Einzelpersonen und viele weitere Organisationen legen Einspruch gegen ein Patent auf Schweinezucht (EP 1651777) ein, das 2009 erteilt wurde. Auf dem Marienplatz in München findet eine Demonstration statt. Das Patent wird 2010 vom Patentinhaber zurückgezogen und vom Patentamt für ungültig erklärt.

2010

Das Bündnis No Patents On Seeds veranstaltet anlässlich einer Anhörung zu den Patenten auf Brokkoli und Tomaten eine internationale Konferenz in München. Bei der anschließenden Demonstration werden dem Patentamt stapelweise Unterschriften übergeben. Seit 2007 wurden insbesondere von der Initiative Kein Patent auf Leben! insgesamt etwa 100.000 Unterschriften gesammelt.
9. Dezember Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat ihre Entscheidung in den Fällen ‚Brokkoli und Tomate’ (G2/07 und G1/08) veröffentlicht. Sie kommt zu dem Schluss, „dass im wesentlichen biologische Verfahren (...) sowie die darauf folgende Auswahl der daraus resultierenden Pflanzen durch die Züchter nach dem EPÜ nicht patentierbar sind“. (Pressemitteilung des EPA)

2011

Das Europäische Patentamt entscheidet in einer Anhörung über das Patent auf Schrumpeltomaten (EP 1211926), dass der Fall erneut der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden soll, um zu entscheiden, ob Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung patentiert werden können.

2012

9. Februar „Keine Patentierung konventionell gezüchteter Nutztiere: Einstimmig hat der Bundestag auf Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (17/8344) die Bundesregierung am 9. Februar aufgefordert, sich in Brüssel für eine Konkretisierung und Änderung der EU-Biopatentrichtlinie einzusetzen.“(www.bundestag.de)
10. Mai Das Europäische Parlament verabschiedet eine Entschließung „zur Patentierung von im wesentlichen biologischen Verfahren“. Darin hat das Europäische Parlament das Europäische Patentamt aufgefordert, die Patentierung im Bereich der konventionellen Tier- und Pflanzenzucht zu beenden.
(pau)
Quellen: www.keinpatent.de (unter anderem: Krebsmaus - das Buch; Neem Patent Briefing; Neem Stellungnahme) www.greenpeace.de (unter anderem: Chronologie: Die Kampagne von Greenpeace gegen Patente auf Leben 1990-2011) www.no-patents-on-seeds.org und www.evb.ch Gen-ethischer Informationdienst (GID)

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
215
vom Dezember 2012
Seite 13 - 14

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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