Biotech-Bashing gegen EuGH-Urteil

Kommentar von Christoph Then

Im Oktober 2011 schrieb ein Einspruch von Greenpeace europäische Rechtsgeschichte: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schloss sich im Wesentlichen der Argumentation von Greenpeace an, nach der Patente auf menschliche embryonale Stammzellen nicht erteilt werden dürfen, wenn dafür Embryonen hergestellt oder zerstört werden müssen. Zum ersten Mal wird für die EU im Detail festgelegt, wie menschliche Embryonen vor einer kommerziellen Nutzung durch Patente geschützt werden. Bisher war rechtlich unklar, wie das Verbot der Patentierung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken auszulegen ist.

Nicht nur Applaus

Der Entscheidung des EuGH wurde nicht von allen Seiten applaudiert. Insbesondere in Schweden und England waren Patente auf menschliche embryonale Stammzellen bisher zulässig - jetzt befürchtet man, dass dort weitere Patente widerrufen werden. Ein guter Teil der Presseberichterstattung hielt sich jedoch mit den tatsächlich zu erwartenden Auswirkungen des Urteils nicht lange auf. Von verschiedenen Medien in England, Schweden und Deutschland wurde Greenpeace und insbesondere dem EuGH unterstellt, die Forschung verhindern zu wollen. Dabei kann ein Verbot der Patentierung kein Verbot der Forschung bewirken. Das Verbot der Patentierung und der kommerziellen Nutzung menschlicher Embryonen ist von seiner Wirkung und Intention eher dem Verbot des Organhandels vergleichbar: Zwar ist Organtransplantation erlaubt, doch der Handel mit menschlichen Organen ist international verboten, um einer Kommerzialisierung des menschlichen Körpers vorzubeugen. Zwar war die Berichterstattung sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Staaten zumeist ausgewogen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fand sich zum Beispiel ein regelrechtes Lob für die Umweltorganisation: „Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag in der europäischen Rechtsgeschichte einen Markstein gesetzt. Die Ehre, dies erreicht zu haben, gebührt der Umweltorganisation Greenpeace. Es ging also nicht um die Durchsetzung religiös fundierter moralischer Überzeugungen, sondern um ausschließlich weltliche, man könnte auch sagen: gottlose Überlegungen, wie das menschliche Leben zu bewerten sei.“

Stimmungsmache

In mehreren Fällen jedoch ließ sich ziemlich genau beobachten, wie einige Vertreter der Biotech-Branche diesen Fall gezielt als Plattform nutzen wollten, um Stimmung für die Stammzellforschung zu machen. Das Urteil war (wegen der in die gleiche Richtung gehenden Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH, Yves Bot, vom März 2011) seit Monaten erwartet worden. Schon im Vorfeld der Entscheidung waren offensichtlich verschiedene Redaktionen bearbeitet worden. Am Abend nach der Urteilsverkündung berichteten ZDF und ARD unisono, der EuGH habe ein Urteil „gegen die Forschung“ gefällt. Als Kronzeugen dieser Anklage gegen den EuGH wurden schwere Geschütze aufgefahren, zum Beispiel Ernst Ludwig Winnacker, ehemaliger Generalsekretär des Europäischen Forschungsrats, der seit vielen Jahren einen Feldzug für die Akzeptanz der Biotechnologie führt. Die „Allianz der Wissenschaftsorganisationen“1 warnte wenig später eindrücklich davor, die Stammzellforschung zu diskreditieren. Das alles wirkte gut organisiert und im Detail geplant. Nebenher wurde der Stammzellforscher Oliver Brüstle, in der Biotech-Branche gut vernetzt, immer wieder als Opfer und zu Unrecht verfolgter Forscher präsentiert. Dabei war es Brüstle selbst, der nach einer ersten, aber nur teilweisen Niederlage am Bundespatentgericht das Verfahren immer weiter vorangetrieben hatte. Zuletzt hatte er vor dem EuGH in direktem Widerspruch zum Wortlaut der Patentgesetze gefordert, menschliche Embryonen in der Frühphase der Entwicklung komplett für die Patentierung freizugeben. Jetzt mutierte der Täter zum Opfer.

Angebliche Forschungsfeinde

Dass es einigen Journalisten tatsächlich nicht nur um die Sache ging, sondern vielmehr darum, die angeblichen Forschungsfeinde an den Pranger zu stellen, wurde sogar bei einem Vorgespräch mit dem BBC-Radio zu einem geplanten Interview deutlich. Als ich erklärte, es ginge bei diesem Patentstreit gar nicht darum, die Forschung zu stoppen, sondern darum, Vorsorge zu treffen gegen die kommerzielle Verwertung menschlicher Embryonen, wurde mir erklärt, man sei unter diesen Gegebenheiten an einem Interview gar nicht mehr interessiert. Zur Ehrenrettung der BBC muss hinzugefügt werden, dass der Sender zwei andere Interviews sehr wohl ausstrahlte. Auffallend war auch, dass manche Kommentatoren das Urteil gezielt in Zusammenhang mit religiösen Überzeugungen brachten, den EuGH und Greenpeace sozusagen zur fünften Kolonne des Vatikan machen wollten. Diese Gleichsetzung der ethischen Debatte um den Schutz der Menschenwürde mit Glaubensfragen ist rechtlich und historisch falsch. Sie passte aber in den Tenor derer, die es nicht wahrhaben wollten, dass die Umweltorganisation vor Gericht obsiegt hatte und der EuGH die Ethik über kommerzielle Interessen stellte.

  • 1Zur Allianz gehören unter anderem die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die HelmholtzGemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und die Max-Planck-Gesellschaft.
Erschienen in
GID-Ausgabe
210
vom Februar 2012
Seite 21

Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.

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