Studierendenzahlen und Superlative
Vom Innenleben einer Hochschulpressestelle
Die Arbeit an einer Hochschulpressestelle verspricht spannende Inneneinsichten in den Wissenschaftsbetrieb. Im Alltag ist ein investigativer Journalismus vor Ort aber kaum möglich. Vieles ist hinderlich: Zeitmangel, häufiger Personalwechsel, aber auch der Auftrag, Erfolgsstories zu liefern und Eitelkeiten zu bedienen.
Als Wissenschaftsjournalist in einer Hochschulpressestelle zu arbeiten, das ist die Erwachsenenversion vom Traum, allein in einer Süßigkeitenabteilung zu sein. Von allem probieren dürfen, auf einem Berg an Wissen und Geschichten herumklettern und in Winkeln und Spalten Themen finden, auf die kein Journalist „von draußen“ kommt. Hier darf man sich auch mal ein Forschungsprojekt anschauen, das noch in den Kinderschuhen steckt und bekommt Ergebnisse oft schon erklärt, bevor Nature, Science und Co. in Druck gehen. Die Vertrauensbasis zwischen Wissenschaftler und Pressereferent ist immer, auch unter Zeitdruck, eine andere als die Arbeitssituation „Journalist - Interviewpartner“: Die hauseigene Pressestelle gehört zur selben Mannschaft, innerhalb des Teams sprechen die Beteiligten offener miteinander. Generell ist aber die Zeit für Recherchen und Kontaktpflege zu den Wissenschaftlern eher knapp bemessen. Meistens fehlt sie, und die Presseabteilungen sind schlecht oder unterbesetzt. Dann ist es nicht machbar, mal einen halben Tag in einem Institut zu schauen, was die Forscher dort wirklich machen. Außerdem ist die Kernkompetenz der Hochschule nicht allein Forschung sondern auch Lehre. Auch Studierende sind Gegenstand der Pressearbeit, nicht nur wenn sie als doppelter Abiturjahrgang vor der Tür stehen, streiken, gegen Studiengebühren protestieren oder Preise gewinnen. Sie sind eine der Zielgruppen zum Beispiel der hochschulinternen Zeitschriften. Es gilt Hochschulmagazine mit Inhalt zu füllen, die allen, vom Hausmeister bis zum Professor, dem Erstsemester wie dem Alumni, zeigen sollen, dass sie sich für eine besonders gute Hochschule entschieden haben.
Der Praxisschock
Und so sehen Wissenschaftsjournalisten in Hochschulpressestellen einen Großteil ihrer Arbeitszeit in einem grauen Nebel von Studierendenzahlen, Berichten über Umbau- und Einsparmaßnahmen und genereller Hochschulpolitik verschwinden. Schon nach wenigen Arbeitstagen wabern durch ihre Träume vom freien Denken und Recherchieren in der Universität sich stereotyp wiederholend die von der Hochschulleitung gesteckten Ziele, wie: „... mehr Mädchen für Technikberufe begeistern“. Den vorgegebenen Kurs und die Befindlichkeiten der Hochschulleitung gilt es unbedingt zu beachten. Superlative erfreuen stets das Herz: Besser, höher, weiter - oder in der Nanotechnik kleiner als klitzeklein. Nun können Universitäten aber nicht überall Spitze sein, Teilbereiche bleiben stets Mittelmaß. Doch Exzellenzinitiative und Co. haben die Jubelberichterstattung noch um einiges aufgewertet. Im Übrigen greifen auch die Medien häufiger die Erfolgsstories auf: Mit einer Pressemeldung über sensationelle Leistungen erreicht eine Einrichtung Spitzenreichweiten, sobald es auch nur eine Nummer kleiner als Spitze ist, geht eine Meldung leicht im Rauschen unter. Themen, die den gesellschaftlichen Diskurs bereichern könnten, haben generell wenig Chancen: Wo bleiben sie, die Projektideen, aus denen nach monatelanger Vorbereitung doch kein Exzellenzcluster wurde? Welche Zukunft hat die junge Wissenschaftlergeneration, die von Zeitvertrag zu Zeitvertrag durch die Republik geschubst wird? Es gibt Pressestellen, die mit sehr wenigen Mitarbeitern gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Fundraising und Alumnibetreuung betreiben und solche, bei denen diese Bereiche wohl geordnet in eigenen Abteilungen und personell gut ausgestattet sind. Für die Hochschulen wird der Wettbewerb um Geldmittel immer schärfer und damit die Öffentlichkeitsarbeit aufgewertet: Hochschulleitungen wollen ihr Haus gut dargestellt sehen und setzen verstärkt auf Fachleute. Die Wissenschaftskommunikation professionalisiert sich und so kommen seit einigen Jahren strategisch ausgewählte Menschen mit Medienerfahrung, einem abgeschlossenen Studium und passenden (Zusatz-)Qualifikationen aus den Bereichen PR und Journalismus auf die Posten von Pressesprechern und -referenten an Hochschulen. Das war und ist nicht immer und noch lange nicht überall so. Das Problem ist systemimmanent: Hochschulen, meist Landesbetriebe, sind keine wendigen kleinen Motorboote sondern große, behäbige Supertanker. Sie brauchen eine große Crew, um die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Studierenden mit allem Nötigen zu versorgen. Hochschulen gehören vielerorts zu den größeren Arbeitgebern. Aber Hochschulverwaltungen bestehen im Akademikersegment nicht immer aus für ihre Positionen ausgebildeten Mitarbeitern. Zu einem unberechenbaren Anteil arbeiten hier Menschen, die an ihrer Alma Mater hängen geblieben oder durch andere Verbindungen zu mehr oder minder geeigneten Quereinsteigern geworden sind. Man kennt sich, man tut sich nichts. Die Professionalisierung in der Pressearbeit fällt auch deshalb so auf, weil diese Abteilungen bisher öfter als Parkplatz für Menschen missbraucht wurden, die dringend ein Pöstchen auf einer bestimmten Gehaltsstufe brauchten. Sie waren in einem Landesministerium übrig oder sind Ziehkinder eines Hochschulpräsidenten. Auf Filzpantoffeln in ihr Büro geglitten, bewiesen einige, dass nicht jeder mit Menschen und Worten umgehen kann und es mancher vielleicht auch nie lernt.
Deutsch für Forscher
Sowohl Journalisten auf Expertensuche als auch die Wissenschaftler schätzen Fachwissen in der Pressestelle: Ansprechpartner, die beide Seiten der Wissenschaftskommunikation kennen, können besser vermitteln. Hochschulleitung und Wissenschaftler haben ständig Erklärung über die Medienwelt nötig, wenn es darum geht, warum „der dpa-Mensch“ unbedingt sofort einen Rückruf braucht oder was den Experten beim live-übertragenen Interview im Hörfunkstudio für eine Situation erwartet. Es gilt Kollisionen zu vermeiden: Hochschulchefs tun ihren Ärger über vermeintlich schlechte Reporter nicht immer diplomatisch kund - schmollende Telefonbotschaften an die Chefredaktion der örtlichen Lokalzeitung inklusive. Frei von Konflikten ist auch der Umgang mit Wissenschaftlern selbstverständlich nicht. Man ringt um Worte, verklausulierte Wissenschaftlerworte. Formulierungen, die so nicht in den Artikel einer Hochschulzeitschrift oder in eine Pressemeldung gehören, weil akute Unlesbarkeit droht oder die Sache einfach kein Thema für die Öffentlichkeit ist. Nachrichten, die keinen Nachrichtenwert haben, aber aus hausinterner Politik heraus doch veröffentlicht werden sollen: 70ste Professorengeburtstage und dazugehörige Festschriften sind dafür nur ein Beispiel. Die Zähigkeit dieses Ringens variiert. Ein wenig hängt es am Fachbereich. Im Maschinenbau zum Beispiel - der Laie glaubt es kaum - tummeln sich sprachliche Sahneschnittchen! Ingenieure sind es gewohnt, ihre Forschungsarbeit vereinfacht erklären zu müssen, außerdem können sie praktische Ziele nennen. In anderen Fakultäten häufen sich die unverbesserlichen Fremdwortfans. Es gibt natürlich solche und solche. Das Alter spielt eine Rolle: Gerade die Generation Juniorprofessur nimmt Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache ganz selbstverständlich und spricht gerne und mit oft gut vorbereiteten Themenvorschlägen die PR-Dienstleister im eigenen Hause an. Überall finden sich sehr Presse-routinierte Professoren, die auch bereit sind, generell etwas zu ihrem Fachgebiet zu sagen, selbst wenn eine Frage nicht exakt ihre Forschungsarbeit betrifft. Der Gegenentwurf sind die, die das streng hierarchische System der Wissenschaft so verinnerlicht haben, dass sie Pressestellenmitarbeiter und Journalisten nicht als Lebewesen auf einer gleichwertigen Evolutionsstufe sehen. Hierarchien gibt es an Universitäten in doppelter Ausführung: Das der wissenschaftlichen Gemeinschaft und das der Verwaltung. Öffentlicher Dienst mit all seinen Nachteilen. Denn den Vorteil des sehr sicheren Arbeitsplatzes gibt es in den Pressestellen nur selten. Zum Ende ihrer befristeten Arbeitsverträge spült es viele Referenten, Redakteure und Sprecher aus dem Amt. Mit der eigenen Leistung hat das nichts zu tun. Nicht selten wechselt mit der alle paar Jahre ausgetauschten Hochschulleitung auch der Pressesprecher - intern politisch gewollt, aber für die Hochschule zum Schaden. Kontaktpflege zu den Medien und im eigenen Haus ist die Basis guter Pressearbeit. Wer seine Hochschule kennt, findet und positioniert die Themen, die die Perlen in der Auster sind, während Neulinge erstmal nur die Muschelbänke als Ganzes bestaunen können. Ständige Wechsel in den Pressestellen bedeuten immer wieder bei null anzufangen und erdrutschartig Wissen und Kontakte zu verlieren. Aber wenn es gut läuft, dann stimmt der Traum vom großen Wissens-Süßigkeitenladen und spannenden Geschichten. Interessante Leute trifft man im Inneren des Supertankers auf jeden Fall.
Regina Bartel ist Biologin und freiberufliche Wissenschaftsjournalistin. Sie arbeitet sowohl für Publikums- und Fachmedien als auch für Pressestellen wissenschaftlicher Einrichtungen.