Gesundheit wegverhandeln?

In Kanada hat das geplanteFreihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) einige Debatten ausgelöst. Denn schon heute kommen Kanadier kaum an bezahlbare Medikamente, und mit CETA wird das nicht einfacher.

Dass im öffentlichen Gesundheitssystem Kanadas die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente nicht übernommen werden, ist einmalig auf der Welt. Dabei hat das Land mit durchschnittlich 900 Dollar pro Person und Jahr bereits heute die zweithöchsten Arzneimittelpreise unter den OECD-Staaten, und die Kosten steigen überdurchschnittlich schnell an.1 Weder für die Kostenübernahme von Medikamenten noch für ihren Einkauf gibt es in Kanada landesweit einheitliche Regeln. Ein und dasselbe Arzneimittel kann deshalb in den einzelnen Provinzen und Territorien zu unterschiedlichen Preisen erhältlich sein

In letzter Zeit hat es in Kanada erfolgversprechende Diskussionen über die Einrichtung eines landesweiten Programms für den Einkauf und die Kostenübernahme von Arzneimitteln gegeben, das so genannte Pharmacare. Gesundheitsminister aus mehreren Provinzen haben ernsthafte Überlegungen dazu angekündigt, und bisher wollen zwei der vier großen Parteien, die bei der kommenden Parlamentswahl am 19. Oktober antreten, ein solches Programm implementieren, wenn sie die Wahl gewinnen. Durch die Bündelung der Verhandlungsmacht und den Einkauf von Medikamenten in großen Mengen könnten bis zu 11,4 Milliarden Dollar pro Jahr eingespart werden.2 Das Inkrafttreten von CETA wird die Umsetzung dieser Pläne allerdings erschweren oder sogar unmöglich machen, denn Pharmacare könnte Investorenklagen in Milliardenhöhe nach sich ziehen.

Unheilvolle Klagemöglichkeiten

Grund dafür sind die unheilvollen ISDS-Klauseln, die in CETA enthalten sind und deren Reichweite für die öffentliche Gesundheit nicht im Mindesten begrenzt worden ist. Die Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten (engl. Investor State Dispute Settlement, ISDS), ist ein quasi-gerichtliches Verfahren, das es einzelnen Investoren oder Unternehmen ermöglicht, eine Regierungsentscheidung oder -maßnahme anzufechten, wenn sie aus ihrer Sicht Verpflichtungen verletzt, die der Staat im Rahmen eines Freihandelsabkommens oder eines andere internationalen Investitionsschutzabkommens eingegangen ist. Das ISDS-System hebt ausländische Unternehmen auf die Ebene souveräner Staaten und ermöglicht es ihnen, nationales Recht zu umgehen und politische Entscheidungen, die eine Regierung im öffentlichen Interesse gefällt hat, vor internationalen Schiedsgerichten anzufechten.

ISDS: Kanada auf der Anklagebank

Kanada ist der weltweit am häufigsten verklagte Staat; in etwa die Hälfte aller bereits entschiedenen Fälle hat das Land verloren und muss Entschädigungen an Investoren zahlen. Hinzu kommen die enormen Kosten für die Gerichtsverfahren, die im Durchschnitt etwa acht Millionen Dollar betragen. All diese Faktoren zusammen haben eine abschreckende Wirkung: Für die öffentliche Gesundheitsversorgung sinnvolle Maßnahmen werden gar nicht erst ergriffen, um nicht Klagen ausländischer Unternehmen wegen entgangener Gewinne zu riskieren.

Mit den ISDS-Klauseln in CETA hätten Pharmakonzerne also sehr wirksame Instrumente in der Hand, um auch die Einführung von Pharmacare zu stoppen - weil sie ihr Recht auf Profit mit lebensrettenden Medikamenten verletzt. CETA ist eine Giftpille, die nicht nur ein nationales Pharmacare für Kanadier verhindern, sondern überhaupt den Zugang zu benötigten Medikamenten erschweren und die dringend nötigen Verbesserungen in der Arzneimittelpolitik blockieren kann.

 

Übersetzung: Anne Bundschuh.

 

Eine vollständige Fassung dieses Textes findet sich in der Broschüre Bittere Medizin - Freihandel und Gesundheit, die kostenlos im GeN-Büro bestellt werden kann sowie als pdf unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/bittere-medizin erhältlich ist.

  • 1Alle Zahlenangaben im Text beziehen sich auf Kanadische Dollar. 100 Kanadische Dollar entsprechen etwa 67 Euro.
  • 2Gagnon, M.-A. (2014): A Roadmap to a Rational Pharmacare Policy in Canada. The Canadian Federation of Nurses Unions, www.kurzlink.de/gid232_n.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
232
vom Oktober 2015
Seite 18

Michael Butler ist Campaigner für nationale Gesundheitsversorgung bei der kanadischen Nichtregierungsorganisation Council of Canadians, die sich für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einsetzt.

zur Artikelübersicht

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht