Ein (Alp-)Traum wird wahr

AKTIONS-SPECIAL

Im Morgengrauen des 1. März 2010 war es soweit. Nach einer Verlängerung der neunten Verhandlungsrunde zwischen der EU, Kolumbien und Peru klappten die Unterhändler ihre Aktenordner zu. Das weitestgehende Freihandelsabkommen, das die EU je abgeschlossen hat, ist unter Dach und Fach, jubelten VertreterInnen der EU-Handelsdirektion. Die Menschenrechte sind auf der Strecke geblieben, konstatierten GewerkschafterInnen. 480.000 Familien stehen in Kolumbien vor dem Ruin, befürchtet der dortige Milchproduzentenverband Analac. Noch ist Zeit zum Protest.
Das mit Kolumbien und Peru zum Abschluss gebrachte Freihandelsabkommen der Europäischen Union ist in jeder Hinsicht ein „USA plus“-Abkommen - außer in Menschenrechtsfragen. Die EU-Kommission hat in allen Kapiteln mehr herausgeschlagen, als es der US-Regierung in ihrem Freihandelsabkommen mit Kolumbien gelungen ist. Während sich in Kolumbien und Peru einige Wirtschaftssektoren bereits heftig gegen bestimmte Vereinbarungen des Abkommens wehren, ist in Europa noch kaum etwas von dessen Inhalt zu erfahren. Im Mai haben die Staatschefs eine feierliche Unterschrift geliefert und Ende des Jahres dem Europäischen Parlament zur Zustimmung vorlgelegt. Diese könnte dann frühestens Anfang 2011 erfolgen. Wenn es denn zustimmt. Der bilaterale Handel geschieht überwiegend zwischen einem Mutterkonzern und seinen Tochterunternehmen. Genau dafür soll das neue Abkommen die Bedingungen verbessern. Die Höhe der in aller Regel ohnehin niedrigen Zölle ist dabei von untergeordneter Bedeutung - während deren Wegfall gerade für den Nahrungsmittelsektor in Kolumbien und Peru das Aus bedeuten wird: dazu gehören Molkereiprodukten, Schweinefleisch, Ölivenöl, Wein, Whisky und Gin. Wirtschaftsverbände in Peru und Kolumbien fordern daher schnellstmögliche Nachbesserungen. Viel wichtiger als Zölle sind für europäische Multis aber die neuen Regeln für Investitionen und Niederlassungen, Dienstleistungen, Banken, Patente auf Medikamente und Maschinen sowie öffentliches Auftragswesen. Oder der Einfluss, den die EU-Kommission auf nationale Gesetzgebungen nimmt. Es wäre fatal, wenn KritikerInnen sich jetzt mit den vermeintlich strikten Menschenrechtsklauseln abspeisen ließen. Sie kommen sicher nicht zum Einsatz wenn soziale Spannungen und Konflikte in Peru und Kolumbien absehbar weiter zunehmen. Denn mit dem Abkommen wird sich der Druck auf Land und Ökosysteme erhöhen, werden Vertreibungen und Pestizideinsatz steigen, einheimische Wirtschaftsbranchen werden aufgeben müssen, Banken, Versicherungen, Transport, Wasserversorgung, Telefon werden in europäischen Besitz übergehen. Ein von der EU-Kommission in Auftrag gegebenes SIA (Studie zu den absehbaren nachhaltigen Auswirkungen des Abkommens) hatte im Mai 2009 darauf aufmerksam gemacht.1 Die Kommission schrieb diese Warnungen jedoch in den Wind.

Aus vier wurden zwei

Angefangen hatte alles beim EU-Lateinamerika-Gipfel in Wien im Mai 2006. Damals verkündeten die VertreterInnen der EU einerseits und der vier Länder der Andengemeinschaft andererseits die Aufnahme von Verhandlungen für ein Assoziationsabkommen mit den Komponenten Entwicklungszusammenarbeit, Politischer Dialog und Handelskapitel. Doch weder den neoliberalen Regierungen in Peru und Kolumbien noch der EU schmeckten die Ideen Boliviens und Ecuadors. Letztere wollten das Abkommen als Sprungfeder zu einer endogenen Entwicklung einsetzen, das sich am Vivir bien, wie die BolivianerInnen sagen, oder am Buen Vivir, wie es bei den EcuadorianerInnen heißt, orientiert. Am „Guten Leben“ aller und nicht am Profitzugewinn weniger. Das Abkommen sollte der Ankurbelung der eigenen Industrien dienen und nicht vornehmlich dem Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken, der vor allem multinationalen Unternehmen nutzt. Die Verhandlungen gestalteten sich entsprechend schwierig. Ende 2008 machte EU-Kommissionspräsident Barroso kurzen Prozess und komplimentierte Bolivien vor die Tür. Ecuador beendete seine Teilnahme wenig später. Seither wurde nur noch über Freihandelsfragen verhandelt.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
200
vom Juli 2010
Seite 46 - 47

Gaby Küppers

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AKTIONS-SPECIAL Sind die Kühe nur zahlreich genug... (Werner Rätz)
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