Blinder Fleck Forschung
Auch Versuchsfelder sind gefährlich
Hinter den Debatten um MON810 und Amflora treten die von Freisetzungsversuchen ausgehenden Gefahren häufig in den Hintergrund. Diese Ausblendung ist aus fachlichen sowie taktischen Gründen ein Fehler.
Der gentechnisch veränderte (gv) Mais MON810 bestimmte jahrelang die Schlagzeilen der Gentechnikdebatte in Deutschland und Europa. Felder mit der gentechnisch veränderten BASF-Kartoffel Amflora lockten noch einige Grüne und Umweltgruppen hinter dem Ofen hervor. Doch an den vier Versuchsstandorten bei Rostock, in der Börde, bei Northeim und in Limburgerhof, an denen 2011 noch Pflanzen freigesetzt wurden, war von Umweltverbänden oder Grünen wenig zu sehen. Der Protest lag - abgesehen von Einzelaktionen unabhängiger AktivistInnen oder spektakulärer Feldbefreiungen durch Unbekannte - brach. Ähnliche Ruhe herrscht dort, wo diese Felder mitsamt der Entwicklung von Pflanzen und Methoden geplant werden. Auch Geldvergabestellen wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder das Forschungszentrum Jülich sind unangefochten. Dabei ist der Geldregen seit Jahren der entscheidende Antrieb für die Entwicklung und Ausbringung von gv-Pflanzen. Protest fehlt an Universitäten, großen Forschungsgesellschaften (Max-Planck, Fraunhofer und so weiter) und sogar den meisten Firmenstandorten.
Freisetzungen als gefährliche Auskreuzungsquellen
Knapp zehn Prozent der globalen Ackerfläche (genaue Statistiken fehlen) werden Jahr für Jahr mit gentechnisch veränderten Pflanzen eingesät.1 Das ist ein erheblicher Anteil vor dem Hintergrund von Auskreuzungs- und Durchmischungsgefahren. Jedoch sind es nur wenige Pflanzen mit einer überschaubaren Zahl an gv-Konstrukten. Es dominieren die Gensequenzen von Bacillus thuringiensis (Bt) und die Toleranz gegen das Totalherbizid Roundup. Es sind also nur wenige DNA-Strukturen, die zudem - verglichen mit denen auf Versuchsfeldern - gut untersucht und einfach nachweisbar sind. Teststäbchen sind auch für Privatpersonen zu erwerben. Ganz anders sieht das bei den Freisetzungen aus. Jährlich werden weltweit Hunderte bis Tausende unterschiedliche Pflanzen mit oftmals mehreren gv-Konstrukten in die Umwelt gebracht. So gab es in Deutschland 2011 ein Kartoffelfeld der BASF mit mehreren gv-Konstrukten in über 500 unterschiedlichen gv-Pflanzenlinien und -sorten. Die Anzahl unterschiedlicher gv-Konstrukte, die durch Versuchsfelder in die Umwelt gelangt, ist daher viel höher als im kommerziellen Anbau. Nach den bisherigen Erfahrungen reichen Versuchsfelder zudem für großflächige bis weltweite Kontaminationen aus. Dies wurde im Frühjahr 2006 deutlich, als in Ladenregalen weltweit eine Verunreinigung mit dem LL601-Reis der Firma Bayer auftauchte. Reispackungen mussten zurückgerufen werden, da LL601 nicht als Lebensmittel zugelassen war. Er stand einige Jahre vorher auf Versuchsfeldern in Nordamerika. Weniger als zehn Jahre brauchte er für die Verbreitung weltweit - was bemerkenswert ist, weil es sich bei Reis um einen Selbstbestäuber handelt, der sich, ähnlich wie Weizen und Gerste, bei weitgehend geschlossener Blüte selbst bestäubt. Zwar ist in der Natur nichts hundertprozentig, aber Selbstbestäuber haben die geringste Ausbreitungstendenz. Dennoch konnte der Reis, der nur auf Versuchsfeldern angebaut worden war, weltweit in Lebensmittelproben nachgewiesen werden. Damit war bewiesen, dass jede Pflanze globale Verunreinigungen verursachen kann, auch wenn sie nur auf kleinen Feldern steht. Informationen über die Umweltgefährdungen durch neuartige gv-Konstrukte auf Versuchsfeldern sind demgegenüber häufig nicht vorhanden oder unzureichend, da ihre Freisetzung in der Regel die erste Ausbringung in die Umwelt ist. Zudem verfolgen viele Versuche andere Ziele als die Prüfung der Umweltwirkungen. So kommt es immer wieder vor, dass auch nach Versuchsablauf über die - dann eventuell schon in die Umgebung gelangten - gv-Konstrukte keine Informationen zu Risiken vorliegen. Somit stellen Versuchsfelder ständige Lebendversuche in freier Landschaft dar. Die meisten Kontrollbehörden in Deutschland, die auf Landesebene angesiedelt sind, überprüfen Freisetzungsflächen nie. Andere verzichten auf Sanktionen und Anordnungen, wenn sie Verstöße gegen Sicherheitsauflagen feststellen. Das wurde für etliche Fälle durch Akteneinsicht nachgewiesen. Der damalige Abteilungsleiter für Lebenswissenschaften im Forschungsministerium, Dr. Peter Lange, gab in einer Diskussion im November 2009 zu, die Verwendung von Fördermitteln generell nicht zu überprüfen. Allgemein zugängliche Testverfahren für die zwar weltweit auskreuzungsfähigen, aber zunächst nur in kleinem Umfang verbreiteten gv-Konstrukte in Versuchspflanzen fehlen. Der Nachweis von Auskreuzungen bleibt somit dem Zufall oder den nur selten kontrollierenden Behörden vorbehalten. Die benannten Risiken und Auskreuzungsdynamiken werden verstärkt durch die besorgniserregende Wahl der Versuchsstandorte, die oft - absichtlich oder fahrlässig - neben Saatgutbanken oder in Regionen mit vielen Saatzuchtfirmen liegen. Das kann verheerende Wirkungen auf verfügbares Saatgut haben. Im letzten Jahrzehnt standen neben allen fünf offiziellen Saatgutbanken in Siebeldingen, Dresden-Pillnitz, Gatersleben, Groß Lüsewitz und Malchow (Poel) auskreuzungsfähige gv-Pflanzen. Das zeigt Gleichgültigkeit gegenüber Verunreinigungsgefahren oder sogar Absicht.2 Forschungsfelder dienen oft nur der Erzeugung des Anscheins von wissenschaftlicher Prüfung oder Kontrolle. Tatsächlich werden die Festlegungen politisch entschieden. Das galt für die Abstandsregelungen und wird bei der Ermittlung von Grenzwerten so geschehen. Der leitende Bundesbeamte der Grenzwerterforschung, Prof. Joachim Schiemann vom Julius-Kühn-Institut, verkündet bereits vor Durchführung der Versuche in Vorträgen und Interviews neue, höhere Grenzwerte.3
Protestkraft wirksam einsetzen
Die meisten Forschungsfelder in Deutschland werden aus Steuergeldern des Bundesforschungsministeriums im Bereich der „biologischen Sicherheitsforschung“, mittels Deutscher Forschungsgemeinschaft oder aus Geldern der Bundesländer finanziert. Die hohe Förderung drängt Institute zu solchen Aktivitäten, während andere Forschung vernachlässigt wird. Das geben die AnwenderInnen selbst zu - zum Beispiel die Rostocker Professorin Inge Broer 2006 als Antwort auf die Frage, warum sie nur zu Gentechnik forsche: „Weil es dafür Geld gibt“.4 Stattdessen wäre es nötig, den ökologischen Landbau, die Substitution von Eiweißfuttermittel-Importen, die Reduzierung von Fleischkonsum sowie Naturschutzfragen und Kooperationsmodelle zwischen LandwirtInnen, Umweltverbänden und VerbraucherInnen weiterzuentwickeln. In der Vorbereitungsphase stehen neue gv-Pflanzen nur auf kleinen Flächen, die AnwenderInnen sind lokalisierbar. Auch aktionstaktisch gesehen ist es daher für Gentechnik-KritikerInnen unsinnig, die Entwicklung neuer Pflanzen und Techniken zu verschlafen, um sich erst dann zu wehren, wenn diese hektarweise und von verschiedenen AkteurInnen kommerziell ausgebracht werden. Effizienz im Protest muss Vorrang vor Bedürfnissen nach Imagewerbung und Spenden haben. Die meisten der aktuell betriebenen Versuchsfelder zur Biosicherheit werden mit Falschangaben in Genehmigungs- und Förderanträgen ergaunert. Tatsächlich geht es überall um die Entwicklung neuer Pflanzen oder neuer Methoden für gentechnisches Manipulieren, was einerseits die späteren Patente beweisen, andererseits aber auch durch Akteneinsicht und Beobachtung der Aktivitäten auf den Versuchsanlagen nachgewiesen werden konnte.5 Fazit: Die Versuchsfelder und -vorhaben brauchen dringend mehr Beachtung. Es ist ein sachlicher und taktischer Fehler, immer nur auf MON810 und Amflora zu schielen, während Institute und Firmen mit Steuergeldern gemästet werden und neue Pflanzen entwickeln. Zum einen bedeutet das, immer bessere Startbedingungen für die großflächige Anwendung zu schaffen, zum anderen ist die Bedeutung der Versuchsfelder bei der Auskreuzung und Verunreinigung bislang deutlich unterschätzt worden. Es wird also Zeit für eine problemorientierte Schwerpunktbildung auch in NGO- und Parteizentralen, die hier bislang noch deutliche Defizite aufweisen.
- 1www.keine-gentechnik.de/dossiers/anbaustatistiken….
- 2Bergstedt 2011, S. 147ff, für Details siehe Autorenbeschreibung.
- 3www.transgen.de/pdf/diskurs/schiemann_folien.pdf.
- 4Bergstedt 2011, S. 52ff.
- 5Bergstedt 2011, S. 63f.
Jörg Bergstedt ist seit Jahren Aktivist und Autor. Neben der Agro-Gentechnik interessieren ihn unter anderem weitere Umwelt-relevante Themen und allgemeine Herrschaftsfragen.