Es gibt genug für alle – Hunger ist vermeidbar!
Entscheidend sind der Zugang und die Verteilung
Aktuell hungern 345 Millionen Menschen in 79 Ländern. Das Menschenrecht auf Nahrung wird millionenfach verletzt und gleichzeitig haben wir genug Lebensmittel auf der Erde um acht, ja sogar bis zu zehn Milliarden Menschen satt zu machen. Was läuft da falsch?

Hunger ist kein Schicksal, Hunger ist menschengemacht, denn Armut ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen nicht genügend zu Essen haben. Foto: Gemeinfrei auf pixabay.com.
Die Anzahl weltweit Hungernder ist schon vor Corona, dann im Zuge der Pandemie und nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine noch einmal deutlich nach oben gegangen. Was sind die Gründe? Es kommen gerade vier Krisen zusammen, die die Treiber für Nahrungsmittelunsicherheit sind. Diese lassen sich mit vier „Cs“ abkürzen:
Climate – Klima. Die Klimakrise macht auch im Krieg keine Pause. Im östlichen Afrika erleben wir die schlimmste Dürre seit über 40 Jahren. In Indien herrschte im Frühjahr 2022 eine extreme Hitzewelle. Überall, wo ich auf meinen Dienstreisen im Globalen Süden hinkomme, sind die Auswirkungen der Klimakrise eines der zentralen Probleme für die Bäuer*innen. Sie äußern sich in zunehmendem Starkregen, Dürren sowie Verschiebungen der Regen- und Trockenzeiten.
Conflict – Kriegerische Auseinandersetzungen sind eine wichtige Ursache für Hunger. Das sehen wir beispielsweise im Jemen, in Somalia und Afghanistan. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat geostrategisch jedoch besondere Auswirkungen. Ukraine und Russland sind zwei der wichtigsten Exporteure für Agrarrohstoffe wie Weizen, Mais und Sonnenblumenöl. 44 Prozent des in Afrika verbrauchten Weizens stammen aus diesen beiden Ländern. Die Abhängigkeiten sind groß.
Covid – die Pandemie hat schon vor dem Krieg dazu geführt, dass über 160 Millionen Menschen mehr gehungert haben. Menschen verloren ihre Arbeit, oder konnten nicht zum Markt, um ihre Waren zu verkaufen – die Auswirkungen der Lockdowns haben die Ernährungssicherheit deutlich verschlechtert.
Costs – die Kosten sind gestiegen und zwar für Lebensmittel, Treibstoff, chemisch-synthetische Pestizide und mineralischen Stickstoffdünger. Diese Kostensteigerungen setzten schon vor dem Krieg ein. So verteuerte sich Mais in Burkina Faso im Februar 2022 um 30 Prozent, im Libanon verdoppelten sich die Weizenpreise zwischen Februar und März 2022. In Ägypten wurde Brot bis zu 40 Prozent teurer. In Sri Lanka war die Inflation bei Lebensmitteln im Oktober und November 2022 bei 100 Prozent.
Die Verteilung ist der Schlüssel
An den Entwicklungen der vier Cs wird deutlich: Nicht die weltweite Produktion, sondern die Verteilung ist entscheidend. Denn die Getreideernte 2022 lag nur zwei Prozent unter dem Vorjahresniveau. Hunger ist kein Schicksal, Hunger ist menschengemacht, denn Armut ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen nicht genügend Lebensmittel kaufen können. Die Preise für Getreide fallen zwar aktuell, jedoch wurden viele Währungen im Globalen Süden abgewertet. Besonders für hoch verschuldete Länder und Menschen mit geringer Kaufkraft bedeutet das, dass importierte Lebensmittel und andere Importgüter, die in US-Doller gehandelt werden, für viele unerschwinglich sind – und das führt zu Hunger. Für die Bäuer*innen, die stark auf externe Betriebsmittel wie mineralische Stickstoffdünger oder chemisch-synthetische Pestizide gesetzt haben, bedeutet es eine Verteuerung dieser Produkte und damit einhergehend eine unsichere Ernte.
Die Abhängigkeitskrise
Die steigenden Energiepreise für Öl und Gas haben verschiedene Auswirkungen auf die Landwirtschaft und machen deutlich, wie abhängig unser Ernährungssystem von fossilen Energieträgern ist. So ist mineralischer Stickstoffdünger energetisch sehr aufwendig herzustellen, und dessen Produktion hängt eng mit dem Gaspreis zusammen. Dieser Dünger war letztes Jahr bis zu sechs Mal so teuer wie noch 2021 und verteuert damit die Produktion von Getreide und Mais deutlich. Mit gestiegenen Ölpreisen steigen auch die Preise für Diesel für Landmaschinen, Kosten für Transport, Kühlung und Weiterverarbeitung von Lebensmitteln. Daraus erklärt sich die häufige parallele Entwicklung von Lebensmittelpreisen und Rohölpreisen. So gingen vom Rohölpreis in der Finanzkrise 2007/08 bis zu 50 Prozent der Preissteigerungen bei Lebensmitteln aus. Dass wir die vorherrschende Art der Düngung deutlich reduzieren müssen, wird nicht nur wegen der großen Abhängigkeit von Erdgas deutlich, sondern auch mit Blick auf die Klimakrise. Die Produktion von synthetischem Stickstoffdünger allein ist für circa zwei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Agrarökologie und Reduktion des Fleischkonsums
Die aktuelle Krise wurde durch Abhängigkeiten bei Importen von Energie, Grundnahrungsmitteln und Kunstdünger ausgelöst – jetzt braucht es eine klare Reduzierung dieser Abhängigkeiten. Ein Schritt hin zu krisenfesteren Ernährungssystemen ist die Agrarökologie. Sie versucht schrittweise Abhängigkeiten zu reduzieren – unsere Partner*innen in Afrika, Asien und Lateinamerika berichten von Betrieben, die mit dieser Strategie gut durch die diversen Krisen gekommen sind. Ein konkretes Anwendungsbeispiel sind Agroforst-Systeme, bei denen Sträucher und Bäume in die Landwirtschaft und Viehhaltung integriert werden. Doch auch hier in Deutschland wird sich die Landwirtschaft und die Ernährung verändern müssen. Im April brachte die Uni Bonn eine Übersichtsstudie heraus mit folgender Aussage: „Damit die Erde uns auch in Zukunft ernähren kann, müssen die Industrienationen den Verzehr von Fleisch deutlich reduzieren – im Idealfall um mindestens 75 Prozent.“1 Weltweit – und das gilt auch für Deutschland – werden über 50 Prozent des Getreides für die Tierfütterung verwendet. Nur 20 Prozent des in Deutschland geernteten Getreides geht in den menschlichen Konsum.
Und die Rolle der Gentechnik?
Gerade bezogen auf die Welternährung wird gern das Argument genutzt, dass wir die neue Gentechnik wie CRISPR-Cas und Co. benötigen, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Doch wie oben schon beschrieben – haben wir kein Mengenproblem, Hunger ist ein Armutsproblem. So lange wir also so ineffizient mit unseren Ackerfrüchten umgehen, sie zur Mast von Schweinen und Geflügel nutzen und dabei auch noch circa ein Drittel der weltweiten Erntemengen bei Konsument*innen (Globaler Norden) oder als Nachernteverluste (Globaler Süden) weggeschmissen und vernichtet werden – so lange brauchen wir überhaupt keine Gentechnik. Wir brauchen keine technische Neuerung, mit fragwürdigen Versprechen, sondern eine Umstellung der Ernährungssysteme.
Fazit
Das Menschenrecht auf genügend Nahrung wird massiv verletzt, über 345 Millionen Menschen hungern akut, obwohl es genug Lebensmittel für alle auf der Erde gibt. Es kommen diverse Krisen zusammen und die Hauptgründe für Hunger sind Armut und Krieg. Abhilfe schaffen kann die Agrarökologie, die sich in der Pandemie und im Zuge der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine als sehr krisenfest erwiesen hat. Es braucht eine Landwirtschaft, die versucht so unabhängig wie möglich zu sein und die lokalen Gegebenheiten im Blick hat. Und auch bei uns braucht es Änderungen. Um die Reduktion tierischer Erzeugnisse kommen wir zukünftig, aus Gründen des Klimaschutzes und der Welternährung, nicht herum. Niemand muss hungern und es gibt Lösungen, damit das Ziel der UN bis 2030 wahr wird – Zero Hunger – kein Hunger.
- 1Parlasca, M.C./Qaim. M. (2022): Meat consumption and sustainability. In: Annual Review of Resource Economics, 14:1, S.17-41, www.doi.org/10.1146/annurev-resource-111820-032340.
Markus Wolter ist Agrarwissenschaftler und Referent für Landwirtschaft und Welternährung beim Hilfswerk Misereor. Er war selbst Bio-Landwirt und viele Jahre in der landwirtschaftlichen Beratung tätig.