Verbändeposition gegen die Deregulierung neuer Gentechnik

Deutsche Verbände stehen vereint gegen die Deregulierung der neuen Gentechnik in Europa.

Zusammen mit 139 weiteren Verbände und Organisationen aus der Zivilgesellschaft fordert das GeN die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von neuen Gentechnikverfahren abzulehnen.

Screenshot Verbändepapier


Im Juli 2023 hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der den Anbau und die Vermarktung von fast allen Produkten aus Neuen Gentechniken (im Folgenden: NGT) komplett deregulieren soll und der aktuell in den Gremien der EU beraten wird.(1a) Der Gesetzesvorschlag übernimmt sämtliche Forderungen der Gentechnik-Lobby - die Interessen der Verbraucher*innen, der Umwelt und der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung werden dagegen nicht berücksichtigt. Mit diesem Vorschlag würden zentrale Standards abgeschafft, wie z.B. das verpflichtende Zulassungsverfahren mit einer Risikoprüfung und Nachweisverfahren, die eindeutige Kennzeichnung, Koexistenz, sowie das Verursacherprinzip.

Aus Sicht der unterzeichnenden Verbände ist der Gesetzesvorschlag abzulehnen, da er eine gentechnikfreie konventionelle und ökologische Lebensmittelerzeugung verhindert und damit den Bürger*innen in der EU die Freiheit nimmt, sich gegen Gentechnik entscheiden zu können. Der Gesetzesvorschlag missachtet das Vorsorgeprinzip, verstößt gegen das völkerrechtlich verankerte Recht auf Nahrung und gegen internationale Umweltabkommen wie das Cartagena-Protokoll.(2)

Der Großteil der NGT-Pflanzen, die aktuell entwickelt werden, würde ungeprüft, ungekennzeichnet und unkontrollierbar in die Lebensmittelerzeugung und Umwelt kommen. Haftung und Rückverfolgbarkeit würden abgeschafft. Der Gesetzesvorschlag hätte eine neue Patentierungswelle zur Folge. Zukünftige Züchtungen und die genetische und biologische Vielfalt wären gefährdet. Es käme zu einer noch stärkeren Konzentration des Saatgutmarktes auf wenige Konzerne

Wir fordern die Bundesregierung und das EU-Parlament auf: Lehnen Sie diesen Gesetzesvorschlag ab!

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat 2018 und 2023 bestätigt, dass das bestehende Gentechnikrecht genügend Flexibilität bietet, um NGT-Verfahren auch weiterhin angemessen und unter Achtung des in EU-Verträgen verankerten Vorsorgeprinzips und der Wahlfreiheit zu regulieren.(3) Da NGT-Pflanzen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier mit sich bringen können ist eine umfassende Risikoprüfung aller NGT zwingend erforderlich.

Eine Aufweichung des Gentechnikrechts hätte massive negative Folgen

Der aktuell verhandelte Gesetzesvorschlag bedeutet eine Abschaffung der heutigen zentralen Regeln für NGT. Das ginge auf Kosten von Bäuer*innen, Saatguterzeuger*innen, Züchter*innen und allen weiteren Akteur*innen entlang der Lebensmittelkette und träfe alle Verbraucher*innen:

  • Der allergrößte Teil der NGT-Pflanzen (bis zu 94 %) würde überhaupt nicht mehr reguliert: Sie würden ohne Zulassungsverfahren und ohne Risikoprüfung auf die Äcker und Märkte kommen.(1b) Damit würde das Vorsorgeprinzip faktisch abgeschafft, auch weil es bei gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nach einer Freisetzung in die Umwelt keine Chance der Rückholbarkeit gibt.

 

  • Aus NGT-Pflanzen hergestellte Lebens- und Futtermittel würden ohne Kennzeichnung und ohne verpflichtende Nachweisverfahren in die Verarbeitung und Supermarktregale gelangen. Ohne Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gibt es keine Wahlfreiheit für Konsument*innen und Akteur*innen der gesamten Lebensmittelproduktionskette mehr.

 

  • Eine gentechnikfreie Pflanzenzüchtung, Saatguterzeugung, Landwirtschaft, Imkerei und Lebensmittelverarbeitung wäre mittelfristig nicht mehr möglich. Aktuell sieht die neue EU Verordnung keine konkreten Vorsorgepflichten zum Schutz der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Produktion vor. Kontaminationen durch Einkreuzungen oder Vermischungen könnte somit nicht mehr vorgebeugt werden. Auch das bisher verpflichtende Standortregister, das allen Akteur*innen Transparenz über Gentechnik-Anbauflächen bietet, würde abgeschafft.

 

  • Die Gentechnik-Industrie müsste keine Nachweisverfahren für die NGT-Produkte mehr vorlegen. Damit würde der gentechnikfreien Pflanzenzüchtung, Saatguterzeugung, Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung eines der wichtigsten Instrumente fehlen, sich effektiv vor Kontaminationen zu schützen. Haftungsregeln könnten dann nicht mehr umgesetzt und Verursacher*innen von Schäden und Kontaminationen nicht mehr belangt werden. Damit kann das Verursacherprinzip nicht umgesetzt werden. Während die Gentechnik-Industrie einen Freibrief bekäme, würde die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung auf den Schäden sitzen bleiben. Der große Wettbewerbsvorteil der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung würde damit geopfert.

 

  • Zu Risiken für die Umwelt, für Ökosysteme und die Gesundheit von Mensch und Tier gibt es zu wenig Forschung - und viele offene Fragen. Der Wegfall der verpflichtenden Risikoprüfung wäre daher ein klarer Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip. Eine umfassende Risikoprüfung für jeden GVO, insbesondere bei Freisetzungen in die Umwelt, ist zwingend erforderlich. Wie schon bei bisherigen Gentechnik-Pflanzen ist auch bei NGT-Pflanzen davon auszugehen, dass diese zu großen Teilen für die Fütterung von Tieren verwendet würden. Auch aus Sicht des Tierschutzes wäre es unverantwortlich, wenn diese Pflanzen nicht gründlich auf Risiken geprüft würden.

 

  • Selbst herbizidtolerante NGT-Pflanzen, die nachweislich zu einem höheren Einsatz von Pestiziden führen und die Artenvielfalt reduzieren, würden unkontrolliert auf den Markt und in unsere Umwelt gelangen.(4) Der Gesetzesvorschlag würde den Einsatz solcher Pflanzen sogar nochfördern.

 

  • Die geplante Deregulierung würde eine neue Patentierungswelle auslösen, da Gentechnikanwendung immer auch mit Patenten auf Saatgut, Pflanzen und Lebensmittel verbunden ist. Große Saatgutkonzerne könnten ihre Marktmacht so noch weiter ausbauen. In der Folge würde der Zugang zu genetischem Material für kleinere und mittelständische Pflanzenzüchter*innen massiv eingeschränkt, obwohl gerade deren Innovationspotential zur Weiterentwicklung der Kulturpflanzenvielfalt besonders gebraucht wird.

 

  • Die genetische und biologische Vielfalt, die zur Lösung der Biodiversitäts- und Klimakrisen dringend benötigt wird, würde gefährdet und Züchter*innen und Bäuer*innen gerieten in neue, gefährliche Abhängigkeiten. Wege hin zu einer zukunftsfähigen und klimaresilienten Landwirtschaft würden so langfristig ausgebremst oder ganz verbaut. Zu erwarten wären höhere Lebensmittelpreise für Konsument*innen, eine erhebliche Einschränkungen der Sortenvielfalt, sowie höhere Saatgutpreise. Gerade kleine und mittlere bäuerliche Betriebe hier und im globalen Süden wären davon massiv betroffen, die mit ihrer Vielfalt den Großteil der Ernährung der Menschheit sichern.

 

Unser Standpunkt ist klar: Gentechnik ist Gentechnik. Alle Gentechnik-Verfahren müssen weiter strikt reguliert werden. Nur so können Umwelt, Verbraucher*innen und die gentechnikfreie Landund Lebensmittelwirtschaft geschützt werden.

Wir fordern:

  • Der aktuell in Brüssel verhandelte Gesetzesvorschlag muss abgelehnt werden. Die neuen Gentechniken müssen gemäß dem europäischen Vorsorgeprinzip und dem Umwelt- und Verbraucherschutz weiterhin umfassend reguliert bleiben.

 

  • Alle NGT-Pflanzen müssen weiterhin in Zulassungsverfahren umfassend auf Risiken geprüft werden (Einzelfallprüfung), die auch die technikbedingten Risiken, einschließlich unbeabsichtigter Effekte, umfasst.

 

  • Die Wahlfreiheit und Transparenz für Verbraucher*innen, Bäuer*innen, Imker*innen, Züchter*innen, Saatguterzeugung, lebensmittelverarbeitende Unternehmen und Lebensmittelhandel muss gewahrt bleiben.

 

  • Die Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette muss erhalten bleiben. Nur so ist eine Rückverfolgbarkeit möglich. Zudem müssen EU-weite einheitliche und strikte Koexistenzregeln erlassen werden, die Kontaminationen ausschließen. Standortregister und verschuldensunabhängige und gesamtschuldnerische Haftungsregelungen sind zwingend, um dem Verursacher*innenprinzip Geltung zu verschaffen.

 

  • Nachweisverfahren müssen Voraussetzung eines Zulassungsverfahrens bleiben, sowohl für Anträge zum Anbau wie auch zum Import von GVO. Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, Nachweisverfahren für ihre NGT-Produkte zu entwickeln und bereitzustellen.

 

  • Ein globales, öffentlich zugängliches Register muss eingerichtet werden, in dem umfassende Informationen über alle freigesetzten, angebauten oder vermarkteten GVO (einschließlich ihrer veränderten DNA-Sequenz) gelistet werden.

 

  • Patente auf Lebewesen dürfen nicht weiter erteilt werden. Konzerne dürfen sich nicht die Jahrtausende andauernde züchterische Arbeit von Bäuer*innen und regionalen Züchter*innen aneignen. Solange die Problematik der Patentierung nicht gelöst ist, müssen die Verhandlungen über den Gesetzesentwurf eingefroren werden.

 

  • Aufgrund der Folgeschäden für die Artenvielfalt müssen herbizidtolerante und Insektizidproduzierende Pflanzen verboten werden.

 

  • Wir fordern ein Verbot von Gentechnik für die Tierzucht. Würde der Gesetzesvorschlag umgesetzt, würde er die Tür für mehr Anwendungen von NGT in der Tierzucht öffnen. Wir brauchen eine tiergerechte Haltung und eine entsprechende Züchtung – statt massenhafter Tierversuche, die der Anpassung der Tiere an krankmachende Höchstleistungsziele mit Hilfe neuer Gentechnikmethoden dienen sollen. In der Risikoprüfung sollten Fütterungsversuche so bald wie möglich durch geeignete Methoden ersetzt werden.

 

  • Die Rückholbarkeit von GVO aus der Umwelt ist aufgrund potenzieller ökologischer Risiken zu gewährleisten. Die Freisetzung von GVO in die Umwelt ist eine Entscheidung, die über Generationen wirkt. Dazu bedarf es eines langfristigen Monitorings und der Überwachung der komplexen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen mit neuen Eigenschaften und der Umwelt.

 

Statt einer Abschaffung bestehender Gentechnikregelungen ist die Erforschung und Entwicklung agrarökologischer Systeme und Anbaumethoden, sowie ihrer regionalen Anpassung und Umsetzung, notwendig, um der Klimakrise und Verlust der Biodiversität entgegen zu wirken und muss stärker gefördert werden. Das gilt auch für die ökologische und konventionelle gentechnikfreie Züchtung.

Referenzen:
 

 

(1) https://www.gmo-free-regions.org/fileadmin/pics/gmo-free-regions/confer…


(2) Vorsorgeprinzip: Grundlage des europäischen Umwelt- und Verbraucher*innenschutzrechts (zur näheren Definition: siehe PDF); UN Leitlinien zum Verbraucherschutz: https://www.fairtrading.nsw.gov.au/help-centre/youth-andseniors/youth/i… zum Cartagena-Protokoll: https://www.gruenebundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/theme…
Vereinbarkeit_des_Kommissionsvorschlags_zu_NGT_mit_dem_Vorsorgeprinzip.pdf; völkerrechtlich verankertes Recht auf Nahrung (siehe PDF).

(3) https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018-07/cp1801…, https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2023-02/cp2300…

(4) Schütte, G., Eckerstorfer, M., Rastelli, V., Reichenbecher, W., Restrepo-Vassalli, S., Ruohonen-Lehto, M., Wuest Saucy, A.G., Mertens, M. (2017) Herbicide resistance and
biodiversity: agronomic and environmental aspects of genetically modified herbicide-resistant plants. Environ Sci Eur 29:5, doi: 10.1186/s12302-016-0100-y

 

27. November 2023

Gen-ethisches Netzwerk e.V.

zur Artikelübersicht