USA: Jetzt kennzeichnen!

Initiativen zur Kennzeichnung von Gentechnik in Lebensmitteln

Die Auseinandersetzungen um die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel in den USA konzentrierte sich im vergangenen Jahr besonders im Bundesstaat Kalifornien. Nun entwickelt sich eine regelrechte Welle weiterer Initiativen. Sie macht weder vor Unternehmen noch vor Behörden halt.

Die Kennzeichnung von Lebensmitteln zum Sichtbarmachen der Verwendung beziehungsweise der Abwesenheit von gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen ist heute eines der umstrittensten Themen im Lebensmittel-Sektor.“1 Dieser Satz aus einem Beitrag in der New York Times vom 20. Juni dieses Jahres bringt es auf den Punkt: Unbeeindruckt von den Aussichten und Befürchtungen, die sich mit einem zukünftigen Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa verbinden, gibt es in den USA eine regelrechte Welle von Initiativen für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Im vergangenen Jahr fokussierten sich die meisten Hoffnungen der BefürworterInnen einer solchen Kennzeichnungspflicht in den USA auf eine Kampagne im Bundesstaat Kalifornien. Die Abstimmung über „Ballot Proposition 37” scheiterte, wenn auch nur knapp. Ursache dafür war nicht zuletzt, dass Konzerne des Agrar- und Lebensmittelsektors deren Inhalte und Forderungen mit einer eigenen Kampagne torpedierten.2 Parallel deutete sich allerdings bereits im vergangenen Jahr an, dass es eine Reihe von weiteren Initiativen geben wird. Heute werden in etwa zwei Dutzend US-Bundesstaaten die Bedingungen einer Kennzeichnung diskutiert. Die Biotech-Industrie kämpft mit intensivem Lobbying dagegen an.

Connecticut

Anfang Juni dieses Jahres haben sich die Vertreter von Demokraten und Republikanern des US-Bundesstaates Connecticut geeinigt, so dass der Bundesstaat als erster im ganzen Land eine verbindliche und umfassende gesetzliche Regulierung für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel verabschiedete. Zuvor hatte es zwar bereits eine entsprechende Regulierung in Alaska gegeben. Dieses im Jahre 2005 verabschiedete Gesetz ist jedoch beschränkt auf die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Fischen. Die Regelung in Connecticut ist an Auflagen geknüpft. Sie wird erst in Kraft treten, wenn in vier weiteren US-Bundestaaten der Region Neuengland entsprechende Regulierungen verabschiedet worden sind. Mindestens einer dieser Bundesstaaten muss an Connecticut angrenzen und die fünf Bundesstaaten müssen gemeinsam mehr als 20 Millionen Einwohner haben.3

Washington

Große Hoffnungen setzen die Aktivistinnen und Aktivisten für die Kennzeichnung aktuell auf den Bundesstaat Washington. Dieser liegt zwar nicht in Neuengland. Aber es wird erwartet, dass von der Kampagne dort eine breite Mobilisierung auch für andere Bundesstaaten ausgeht. In Washington wird es vermutlich im November eine Volksabstimmung über ein Gesetz zur Kennzeichnung geben. Aktuell rechnen Beobachter damit, dass es hier im Vorfeld der Abstimmung zu einer ähnlichen Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Befürwortern der Kennzeichnung kommen kann, wie im vergangenen Jahr in Kalifornien. Schon jetzt zeigt sich zum Beispiel, dass die Spendengelder für die Kampagnen aus ähnlichen Quellen stammen.

Bundesebene

Auch auf Bundesebene gibt es in den USA eine Gesetzesinitiative: Dort haben die Senatorin Barbara Boxer (Demokratin, Kalifornien) und der Kongressabgeordnete Peter DeFazio (Demokrat, Oregon) den „Genetically Engineered Food Right-to-Know Act“ eingebracht. Ziel des Gesetzes ist es, einen Standard für die Kennzeichnung von gv-Lebensmitteln zu etablieren, der einerseits konsistent, andererseits aber auch durchsetzbar ist.4 Die letzte vergleichbare Initiative auf Bundesebene gab es im Jahre 2000. Der Nichtregierungsorganisation Center for Food Safety (Zentrum für Lebensmittelsicherheit) zufolge wird die aktuelle Kampagne von mehr als 100 Gruppen unterstützt. Nicht zu den Unterstützern gehört das Center for Science in the Public Interest (CSPI), eine „Major Food Advocacy Group“ - also eine bedeutende Gruppe, die sich eigentlich für bessere Lebensmittel und Rechte der VerbraucherInnen einsetzt. In einem Interview mit dem Fach-Internetportal der Lebensmittelbranche, dem Food-Navigator, wird die CSPI-Position verdeutlicht.5 Drei Argumente stehen im Mittelpunkt: (1) gv-Lebensmittel sind weder in Bezug auf ihre Lebensmittelsicherheit, noch bezüglich der Nährstoffversorgung besorgniserregend. (2) Verarbeitete gv-Lebensmittel enthalten kein gentechnisch verändertes Material. Außerdem (3) seien Gentechnikfrei-Label geeignet, VerbraucherInnen in die Irre zu führen, da sie den Eindruck erwecken, dass die mit ihnen gekennzeichneten Lebensmittel gesünder oder anderweitig qualitativ besser seien als andere - nicht entsprechend gekennzeichnete - Lebensmittel.6 Michelle Simon und Andrew Kimbrell vom Zentrum für Lebensmittelsicherheit sind in einem Beitrag für die US-amerikanische Online-Zeitung Huffington Post der Frage nachgegangen, was an diesen drei Argumenten dran ist und warum das CSPI diese vertritt und sich damit in die Reihe der Kennzeichnungsgegner stellt. Ohne den gesamten Artikel - oder die den GID-LeserInnen wohlbekannten Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheit von gv-Lebensmitteln - nachzeichnen zu wollen, soll der ein oder andere Punkt von Simon und Kimbrell hier aufgegriffen werden: Auch das CSPI beklage, dass die zuständige US-Behörde, die Food and Drug Administration (FDA), im Rahmen des Zulassungsverfahrens die Lebensmittelsicherheit nicht rigoros genug überprüfe. Entsprechend sei es bemerkenswert, wenn das CSPI auf der anderen Seite behaupte, gv-Lebensmittel seien bezüglich ihrer Lebensmittelsicherheit kein Thema. Simon und Kimbrell heben außerdem hervor, dass eine Kennzeichnung nicht ausschließlich gefordert werde, um auf mögliche gesundheitliche Bedenken hinzuweisen. Zum Beispiel würden Lebensmittel auch bezüglich ihrer Nährwert-bezogenen Daten gekennzeichnet (was vom CSPI unterstützt wird). Eine Kennzeichnung sei zudem von Bedeutung, da ohne sie niemand, der durch das Essen eines gentechnisch veränderten Lebensmittels krank wird, die Möglichkeit habe, die Ursache zu identifizieren. Im Übrigen würden gv-Lebensmittel, bei deren Verzehr eine Gefahr für die Gesundheit der KonsumentInnen besteht, nicht gekennzeichnet. Sie würden einfach aus den Regalen verschwinden. Ein weiterer Grund, gv-Lebensmittel zu kennzeichnen, sei zum Beispiel, dass deren Anbau mit Gefahren oder Schäden für die Umwelt verbunden sei.7 Dass die Biotech-Industrie die Forderungen nach der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel nicht teilt, ist bekannt. Die US-amerikanische Lobbyorganisation Biotech Industrie Organisation (BIO) sieht „keine wissenschaftliche Basis“, um eine verpflichtende Kennzeichnung zu rechtfertigen. Und weiter: „BIO unterstützt keine Versuche Lebensmittel zu kennzeichnen, die Konsumenten in die Irre führen. Eine verpflichtende Kennzeichnung erweckt den Eindruck, dass es einen Unterschied gibt bezüglich der Sicherheit und der Nährstoffe von Biotech-Lebensmitteln und solchen aus dem ökologischen Landbau - diesen gibt es nicht.“8 Dabei ist die Industrie durchaus in der Lage, ihre Strategie anzupassen. Aktuelles Beispiel ist die Einrichtung des Internet-Portals www.GMOanswers.com durch die Lobbyorganisation Council for Biotechnology Information (CBI).9 Cathleen Enright, Geschäftsführerin des CBI, sieht die Industrie in der Pflicht zu mehr Transparenz, wie sie der New York Times mitteilte: „In Sachen Kommunikation haben wir bei den gentechnisch veränderten Organismen keinen besonders guten Job gemacht.“ Und weiter: „Wir wollen den Gesprächsfaden aufnehmen.“10 Trotz dieser grundsätzlichen Opposition von - gerade in den USA - sehr mächtigen Organisationen wächst der Druck, „Produkte, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, zu kennzeichnen“, wie die New York Times schreibt.11 Neben den Initiativen zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel sieht die New York Times-Autorin Stephanie Strom zum Beispiel auch den weltweiten Protest gegen den Gentech-Branchenprimus Monsanto als wichtiges Indiz. Hinzu kommen die Entscheidungen einzelner Handelsunternehmen: „So erklärte der Einzelhändler Whole Foods im Frühjahr, bis 2018 müssten alle Produkte in seinen Filialen gekennzeichnet werden, falls sie transgene Organismen enthalten“, wie der in Deutschland für Kennzeichnung gentechnikfreier Produkte zuständige Verband Lebensmittel ohne Gentechnik im Juli mitteilte.12 Das gleiche Bild ergibt sich auch aus dem Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die Anfang dieses Jahres von der New York Times in Auftrag gegeben wurde. Demzufolge sprechen sich 93 Prozent der Befragten dafür aus, dass Produkte, die gentechnisch veränderte Inhaltsstoffe enthalten, identifizierbar sein sollten.13 Drei Viertel der Befragten dieser Umfrage äußerten Besorgnis bezüglich gentechnisch veränderter Organismen in Lebensmitteln, die meisten wegen möglicher negativer Gesundheitseffekte. Auch aus einer anderen Richtung bekommen die Kennzeichnungs-BefürworterInnen Unterstützung: Im Juni hat der Food Safety and Inspection Service 14 erstmalig einen Aspekt einer Gentechtechnikfrei-Kennzeichnung anerkannt. Nun können Fleischprodukte und „Produkte aus flüssigen Eiern“ mit dem Segen der Bundesbehörde als „Non GMO Project zertifiziert“ gekennzeichnet werden, wenn die Tiere mit gentechnikfreiem Futter aufgezogen wurden.15

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
219
vom September 2013
Seite 25 - 27

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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Initiativen und Bündnisse für eine Kennzeichnungspflicht
Einen Überblick über die aktuellen Initiativen in den verschiedenen Bundesstaaten gibt das Internetportal www.righttoknow-gmo.org, auf dem die wichtigsten Informationen gebündelt zu finden sind. Über eine Landkarte bietet sie einen leichten Einstieg mit weiterführenden Links zu den regionalen Bündnissen und Initiativen. Connecticut, Maine, Washington, Oregon, Colorado, New Mexico, Tennessee, Missouri, Illinois, Iowa, Maine, Vermont ... von den mehr als zwei Dutzend Initiativen, die derzeit in den USA auf dem Weg sind, sind manche mehr, andere weniger ambitioniert. Während sich zum Beispiel das in Washington zur Diskussion stehende Gesetz sehr stark an dem in Kalifornien orientiert - und damit verhältnismäßig weit reichend ist - ist es zum Beispiel in Missouri, dem „Heimat“-Bundesstaat des Gentech-Branchenprimus Monsanto, sehr vage gehalten und bezieht sich auch nur auf gentechnisch verändertes (gv) Fleisch und gv-Fisch. Gentechnisch veränderte pflanzliche Bestandteile von Lebensmitteln müssten SB.155 (so die Kennung der Gesetzesvorlage) zufolge nicht gelabelt werden.
(Christof Potthof)

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