Nachdenken über neue Gentests in der Schwangerschaft

Stellungnahme Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF)

Immer mehr Unternehmen bieten Tests an, die schon in der Frühschwangerschaft eingesetzt werden können, um anhand einer Blutprobe der werdenden Mutter Aussagen über den Embryo zu machen. Gegen die mit den neuen technologischen Möglichkeiten zu erwartende Eskalationsstufe bei der vorgeburtlichen Selektion laufen nicht nur Beratungsstellen oder Organisationen wie das GeN Sturm. Auch die Gynäkologinnen im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) haben eine kritische Stellungnahme verfasst, die wir hier dokumentieren.
Im Sommer 2012 wurde erstmalig ein Bluttest in Deutschland angeboten, um bereits in der Frühschwangerschaft die Trisomie 21 über fetale DNA aus dem mütterlichen Blut zu erkennen, der Praena-Test. Die Zulassung dieses Tests löste in der Öffentlichkeit eine Diskussion aus, ob es Ziel der Medizin sein kann, Menschen mit Down-Syndrom zu verhindern und was es für unsere Gesellschaft und die Betroffenen bedeutet, wenn infolge vorgeburtlicher Testungen Menschen mit dieser genetischen Eigenschaft nur noch selten geboren werden. Doch der Praena-Test war erst der Anfang. Innerhalb kurzer Zeit sind weitere Tests verfügbar geworden, die noch weitaus mehr Aussagen über die genetischen Eigenschaften des Ungeborenen machen können.1

Was können die neuen Gentests?

Sie liefern keine sicheren Diagnosen, sondern zeigen erneut, wie das Ersttrimester-Screening, nur Wahrscheinlichkeiten an.2 Bei einem positiven Ergebnis für eine Chromosomenabweichung wird von den Anbietern wie auch den Fachgesellschaften geraten, eine abklärende invasive Diagnostik durchzuführen.3 Der Praena-Test kam anfänglich für die Suche nach einem Down-Syndrom auf den Markt. Dann wurden die Trisomien 13 und 18 mit in die Suche aufgenommen. Eine Studie mit 40 Proben und eine noch nicht veröffentlichte Untersuchung sollen die Aussagekraft bestätigt haben, das heißt, schon vor einem wissenschaftlichen Qualitätsnachweis ist der modifizierte Test verfügbar. Das ist unter anderem möglich, weil diese Tests als Medizinprodukte nicht den strengen Zulassungsvoraussetzungen unterliegen wie beispielsweise Medikamente Mittlerweile werden ähnliche Verfahren mit einem noch größeren Spektrum angeboten: Der PanoramaTest bietet auch Auskunft über ein Turnersyndrom.4 In anderen Ländern wird das zukünftige Geschlecht als Analyseergebnis beworben. Es gibt die Übereinkunft, dass der Praena-Test erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche und erst nach Beratung durch einen Arzt/eine Ärztin durchgeführt werden soll. Prinzipiell können aber alle Analysen ab Beginn der zehnten Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Frauen, die auf eine Bestätigung des Ergebnisses durch einen invasiven Test verzichten, könnten sich noch innerhalb der Fristenregelung für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Die Tests wurden erprobt bei Frauen mit erhöhtem Risiko für Chromosomenstörungen der Ungeborenen und zeigten dabei nach den bisher vorliegenden Studien eine hohe Erkennungsrate und eine Falsch-Positiv-Rate von zirka ein Prozent bezogen auf das getestete Kollektiv.5 Damit wäre die Treffsicherheit höher als beim Ersttrimester-Screening mit mindestens 3,5 Prozent falsch positiven Aussagen bezogen auf das getestete Kollektiv. Ob sich diese hohen Erkennungsraten in großen und firmenunabhängigen Studien bestätigen lassen, ist unbekannt. Außerdem dürfen diese Ergebnisse nicht auf ein Niedrigrisiko-Kollektiv übertragen werden, denn dort ist das Verhältnis von richtig zu falsch positiv Getesteten viel ungünstiger. Sachverständige beim Deutschen Ethikrat schätzten im April 2013, dass dann zwei Drittel der positiven Testergebnisse falsch positiv sein könnten.6 Die Entwicklung wird weitergehen und es wird nicht nur nach numerischen Chromosomenstörungen, sondern auch nach Veränderungen auf subchromosomaler Ebene untersucht werden. Einer Forschungsgruppe ist es bereits gelungen, das gesamte Genom eines Ungeborenen aus dem mütterlichen Blut zu bestimmen. ExpertInnen erwarten, dass schon in kurzer Zeit Untersuchungen auf den Verlust von Teilen eines Chromosoms oder auch Genmutationen möglich sein werden.

Warum beunruhigt uns diese Entwicklung?

Als Frauenärztinnen stehen wir dazu, dass eine Frau das Recht und die Möglichkeit haben muss, eine Schwangerschaft abzubrechen, deren Austragen sie körperlich oder seelisch überfordert. Das gilt unabhängig davon, ob sie ein gesundes oder möglicherweise krankes Kind erwartet. Maßnahmen zur vorgeburtlichen Diagnostik sind in diesem Sinne oft hilfreich. Allerdings beeinflussen schon die etablierten Verfahren wie Ultraschall und Ersttrimester-Screening das Schwangerschaftserleben von Frauen erheblich, weil sie nach Feststellung der Schwangerschaft nicht erst einmal einfach nur „guter Hoffnung“ sein können. Die Ermittlung von Risiken für gesundheitliche und genetische Abweichungen beim Fötus dominiert damit auch für uns Gynäkologinnen die Begleitung von Frauen in dieser besonderen Lebensphase. Wir befürchten, dass diese Tendenzen mit dem Praena-Test und ähnlichen Verfahren zunehmen. Wir sehen, dass durch eine immer ausgefeiltere Pränataldiagnostik ein gesellschaftliches Problem, nämlich der Umgang mit einem Leben mit Behinderung - oder mit weniger leistungsbezogenen Lebensperspektiven - in unsere Arztpraxis verlagert wird. Wir befürchten, dass ein risikoorientierter Denkstil sich mit hohen leistungsorientierten und ästhetischen Anforderungen an Kinder verbindet, während Bemühungen um Inklusion von Menschen mit Behinderung aus dem Blickfeld geraten. Eine bewusste Entscheidung für ein erkranktes oder behindertes Kind droht immer schwieriger zu werden. Das Gendiagnostikgesetz sieht eine qualifizierte genetische Beratung vor und nach genetischen Untersuchungen vor. Diese Regelung könnte durch Test-Angebote im Internet, wie sie als „Direct to Consumer Tests“ postnatal schon weit verbreitet sind, umgangen werden. Die Namensgebung der neuen Gentests - Panorama oder Harmony beispielsweise - lässt vermuten, dass hier mehr bei der EndverbraucherIn geworben als die Fachwelt angesprochen werden soll. Werbung wird dort gemacht, wo Geld zu verdienen ist. Die Vermarktung von Gentests droht unsere Gesellschaft zu überrollen, bevor wir uns Gedanken gemacht haben, ob und in welchem Maße und wie detailliert wir diese Analyseverfahren wollen und benötigen.

Umdenken und Umlenken

An die Zulassung von Medizinprodukten, wie den genetischen Tests, müssen strengere Qualitätsanforderungen gestellt werden. In der Schwangerenbetreuung muss die Beratung zu genetischen Tests qualifiziert, ergebnisoffen und auch ausreichend honoriert sein. Die beratende Person soll keinen ökonomischen Vorteil von der Durchführung des Tests haben. Auf der Ebene der Forschungspolitik soll das Schwergewicht auf der Erkennung behandelbarer Erkrankungen liegen. Forschungsprojekte zur Pränataldiagnostik müssen ethisch begutachtet werden, bevor sie mit öffentlichen Geldern gefördert werden. Familien mit behinderten Kindern müssen ohne bürokratische Hindernisse ausreichend unterstützt werden und Menschen mit besonderen Bedarfen willkommen sein. Pränataldiagnostik ist kein rein gynäkologisches Thema! Die angesprochenen Probleme haben gesundheits- und gesellschaftspolitische Dimensionen, auch wenn sie sich als höchst persönlicher Konflikt in der Lebensplanung oder dem Berufsalltag darstellen. Eine breite Diskussion über Pränataldiagnostik und deren Bedeutung für das Leben in unserer Gesellschaft muss geführt werden!
  • 1Bernd Eiben et.al.: Nichtinvasive Pränataldiagnostik. Serumtestsysteme zur Erfassung von Chromosomenanomalien, in: gynäkologie + geburtshilfe 2013; 18 (2-4). Vgl. außerdem den Harmony-Test, im Netz unter www.ariosadx.com und Prendia, im Netz unter www.nzz.ch/aktuell/schweiz/neuer-gentest-fuer-ungeborene-1.18036200 (Zugriff 10.06.2013).
  • 2Das Ersttrimester-Screening gehört zu den nichtinvasiven Methoden der Pränataldiagnostik. Es besteht aus einer Ultraschalluntersuchung mit Ausmessung der Nackenfaltendicke des Embryos zwischen 10. und 14. Woche plus Bestimmung mehrerer Hormonwerte im mütterlichen Blut. Die Ergebnisse werden in einem Computerprogramm ausgewertet und es wird die Wahrscheinlichkeit für Chromosomenanomalien berechnet, speziell für Trisomie 21, Trisomie 13 und Trisomie 18. Das Ersttrimester-Screening unterscheidet sich einerseits von den invasiven Methoden dadurch, dass es keine direkten Risiken hat (zum Beispiel kein erhöhtes Fehlgeburtenrisiko). Andererseits kann es aber auch keine direkten Aussagen zu dem Embryo machen. Die Risikoberechnungen geben nur statistische Wahrscheinlichkeiten an, mit denen bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen prognostiziert werden. Bei Errechnung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Chromosomenanomalien wird als zweiter Schritt eine invasive Untersuchung, zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung, empfohlen. Frauen, die diesen Test durchführen lassen, müssen wissen, dass die Fruchtwasseruntersuchung den Verdacht meist nicht bestätigt: Der Test war falsch positiv, die Fruchtwasseruntersuchung war - rückblickend betrachtet - nicht nötig. Andererseits kann das Ersttrimester-Screening, wenn es ein unauffälliges Ergebnis ergibt, mit relativ großer Wahrscheinlichkeit das Vorliegen der genannten Chromosomenstörungen ausschließen.
  • 3Alexander Scharf: Der Praena-Test aus pränatalmedizinischer Sicht. In: Frauenarzt 53 2012; 8 (2-4).
  • 4Siehe auch den Kasten mit der Stellungnahme der Turner-Syndrom Vereinigung zu dem Test. Auf ihrer Website wird diese genetische Besonderheit so erklärt: Das Ullrich-Turner-Syndrom ist eine Fehlverteilung oder strukturelle Veränderung der Geschlechtschromosomen, von der nur Mädchen beziehungsweise Frauen betroffen sind und tritt mit einer Häufigkeit von etwa 1 zu 2.500 Geburten auf. Eines der beiden Geschlechtschromosomen (XX) fehlt durchgehend oder nur in einem Teil aller Körperzellen, oder aber das zweite X-Chromosom ist strukturell verändert. Das Ullrich-Turner-Syndrom kann nicht ererbt werden. Die verursachenden Faktoren sind noch unbekannt. Die Auswirkungen können individuell sehr verschieden sein. Die Leitsymptome sind der Kleinwuchs (im Durchschnitt etwa 1,47 m) und die Unfruchtbarkeit aufgrund einer zu geringen Entwicklung der Eierstöcke. Hier ist eine Behandlung mit Wachstumshormonen und Östrogenen möglich. Dazu können weitere, heute behandelbare Probleme kommen: Herzfehler, eine so genannte Halsfalte, Nierenprobleme, Lymphödeme. Betroffene Mädchen und Frauen sind normal intelligent und können ein eigenständiges Leben führen, zu dem in vielen Fällen heute auch eine Partnerschaft gehört. www.turner-syndrom.de (Zugriff 01.07.2013).
  • 5Markus Stumm et al.: Noninvasive prenatal detection of chromosomal aneuploidies using different next generation sequencing strategies and algorithms. In: Prenatal Diagnosis 2012, 32, 569–577; Rossa W K Chui et al.: Non-invasive prenatal assessment of trisomy 21 by multiplexed maternal plasma DNA sequencing: large scale validity study. In: British Medical Journal 2011;342:c7401 doi:10.1136/bmj.c7401.
  • 6Deutscher Ethikrat: Stellungnahme vom 30. April 2013, 65, S. 63 ff.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
219
vom September 2013
Seite 33 - 35

Gynäkologinnen im AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit)

zur Artikelübersicht

Selektion durch den neuen Panoramatest!?

Stellungnahme der Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland e. V. (leicht gekürzter Auszug)
Die Einführung des neuen Pränataldiagnostik-Tests „Panoramatest" wirft nach unserer Auffassung sehr viele Fragen auf. Ist dies ein weiterer Schritt hin zur perfekten Selektion? Der Test kann bereits in der 9. Schwangerschaftswoche das Risiko von Trisomie 13 (Pätau-), 18 (Edwards-), 21 (Down-Syndrom) und das Ullrich-Turner-Syndrom (Monosomie X) bestimmen. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass die Pränataldiagnostik eingeführt wurde, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu sichern und gegebenenfalls wieder herzustellen. Da eine Fehlverteilung der Chromosomen nicht behandelt werden kann, stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Tests. Es wäre zu überprüfen, ob dieser Test gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstößt, in dem es unter anderem heißt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Als Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland e. V. wollen wir für all die Mädchen sprechen, die aufgrund eines solchen Tests vielleicht nicht mehr geboren werden! Genauso sprechen wir aus unserer Sicht als betroffene Frauen (...). Durch unsere individuellen Persönlichkeiten und Fähigkeiten tragen wir mit unserem Wissen und Erfahrungen zu einer Lebendigkeit und Vielfalt in der Gesellschaft bei. Viele Frauen (...) fühlen sich durch diesen Testansatz existentiell diskriminiert. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der alles, was von der „Norm“ abweicht, nicht mehr akzeptiert wird? Wer legt diese „Norm“ fest? In der heutigen Zeit, in der die Inklusion politisch vorangetrieben wird, ist das wohl kaum vorstellbar. Wir wollen die Ärzteschaft und die Politik dazu aufrufen, diesen Test aus ethischen Gründen nicht anzuwenden beziehungsweise dessen Vertrieb zu untersagen! Wenn dieser Test nicht nachgefragt wird, wird er bald der Vergangenheit angehören. Dafür wollen wir uns einsetzen, denn jeder hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben.
Der vollständige Text findet sich im Netz unter www.turner-syndrom.de/verein/oeffentlichkeitsarbeit/Stellungnahme_Panor….

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht