Knapp daneben ist auch vorbei

Ungewollte Veränderungen bei Gentechnik-Pflanzen

Studien zeigen immer wieder, dass durch neue Gentechniken hergestellte Pflanzen vielfache unbeabsichtigte genetische Veränderungen aufweisen können. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von der Fachstelle für Gentechnik und Umwelt (FGU) erläutert ihre Relevanz für die Risikobewertung. 

In mehreren Regionen der Welt wird derzeit über die Regulierung der neuen Gentechnik (NGT) und deren Anwendung in der Landwirtschaft diskutiert – auch in Europa. NGT bezeichnet Technologien wie CRISPR-Cas9, die an spezifischen Stellen der DNA das Genom von Pflanzen verändern können. Sie sollen es möglich machen, eine Vielzahl von Eigenschaften präziser und schneller als mit älteren Gentechniken zu verändern. Letztes Jahr hat die EU-Kommission die Einführung einer spezifischen Regulierung für NGT-Pflanzen vorgeschlagen. Mit dem Argument, das sich die genetischen Veränderungen von NGT-Verfahren nicht bedeutend von herkömmlichen Züchtungsmethoden unterscheiden, wird in dem Gesetzesvorschlag keine verpflichtende Risikobewertung zur Genehmigung bestimmter NGT-Pflanzen vorgesehen. 

Gemäß der bisherigen Gentechnik-Gesetzgebung der EU müssen genetisch veränderte Organismen (GVO), die aus „rekombinanten DNA-Verfahren“, also aus im Labor durchgeführten künstlichen Herstellungsprozessen, entstehen, reguliert werden.1  Im Jahr 2018 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung, die klarstellte, dass dies auch für NGT gilt.2 Das macht eine Risikobewertung notwendig, um „die beabsichtigten und unbeabsichtigten Veränderungen, die sich aus der genetischen Veränderung ergeben, zu identifizieren und ihr Potenzial für schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu bewerten“. 

Der neue Bericht der FGU 3 analysiert anhand von aktuellen wissenschaftlichen Studien den technischen Stand der NGT-Entwicklungen. Die FGU ist eine vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) unterstützte Einrichtung, die aktuelle wissenschaftliche und regulatorische Entwicklungen zum Thema der neuen Gentechnik beobachtet und bewertet. Die Autor*innen beschreiben eine Reihe unbeabsichtigter genetischer Veränderungen, die aus NGT-Verfahren resultieren und relevant für deren Risikobewertung sind. Ihre Ergebnisse werden hier zusammengefasst. Zur besseren Übersicht wurden diese in fünf Kategorien aufgeteilt.

Erstens: beim Einbau über alte Gentechnik

NGT-Pflanzen unterlaufen einen mehrstufigen Herstellungsprozess. Zur Einführung von Genscheren wie CRISPR-Cas9 in die Pflanzenzelle werden typischerweise Verfahren der alten Gentechnik genutzt, wie Plasmide, die aus fremd-DNA bestehen. Daher ist das Ergebnis des ersten Schritts der CRISPR-Cas9-Anwendung in den meisten Fällen eine nach Richtlinie 2001/18/EG transgene Pflanze, d.h. sie enthält artfremde DNA. Die dabei entstehenden unbeabsichtigten genetischen Veränderungen sind vielfältig und unterscheiden sich von denen, die aus der konventionellen Züchtung hervorgehen. Beispielsweise wurden Veränderungen in der Epigenetik – also Regulierungselemente von Genen, die nicht die DNA-Sequenz selber betreffen –, in der Sequenzabfolge der DNA-Bausteine oder bei der Funktionalität von Gen-Produkten nachgewiesen.4 Selbst wenn bei den resultierenden Pflanzenarten durch konventionelle sexuelle Fortpflanzung die artfremden Elemente aus dem Pflanzengenom entfernt werden, können unbeabsichtigte genetische Veränderungen unbemerkt im Genom verbleiben.

Zweitens: Unbeabsichtigter Einbau von Transgenen

CRISPR-Cas9-Anwendungen können eine unbeabsichtigte Einführung von artfremden DNA-Sequenzen im Genom zur Folge haben. Diese Veränderungen, die sowohl an der Zielstelle als auch anderswo im Genom auftreten können, werden häufig durch die Integration von Abschnitten aus Vektor-DNA – also der „Gen­fähre“ mit der der CRISPR-Cas-Komplex in die Zelle geschleust wird – verursacht. In tierischen Zellen wurde festgestellt, dass unbeabsichtigt eingefügte fremde DNA-Fragmente sowohl aus dem Vektorkonstrukt als auch aus dem Wachstumsmedium im Labor stammen können.

Drittens: ohne den Einbau von artfremder DNA 

Auch ohne den Einbau von artfremder DNA wurden verschiedene unbeabsichtigte Veränderungen bei der Anwendung von CRISPR-Cas in Pflanzenzellen beschrieben. Genscheren sind eine Art von Nukleasen, also Enzyme die in der Lage sind, die Grundbausteine der DNA – die Nukleotide – voneinander zu spalten. Es ist bekannt, dass Nukleasen spezifische DNA-Sequenzen einer bestimmten Länge, unabhängig dessen Position im Genom, zum Andocken nutzen. Daher besteht die Gefahr, dass CRISPR-Cas und andere Nukleasen sich auch an zusätzliche sogenannte Off-Target-Regionen binden, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den Andock-Sequenzen aufweisen. Hinzu kommen sogenannte On-Target-Effekte, also ungewollte Veränderungen in der Zielregion der DNA wie repetitive Deletion von Nukleotiden – Löschungen von DNA-Bausteinen –, Mutationen unterschiedlicher Länge und größere strukturelle Veränderungen.

Viertens: Chromothripsis-ähnliche Effekte

Chromothripsis ist ein genetisches Phänomen, bei dem Hunderte von Chromosomenumlagerungen in einem einzigen Ereignis auftreten können. Bei Säugetieren – einschließlich Menschen – wird das Phänomen mit Krebs und angeborenen Krankheiten in Verbindung gebracht. Biotechnologische Mutagene, wie zum Beispiel Nukleasen, die ein Doppelstrangbruch (DSB) in der DNA verursachen, sind eine wahrscheinliche Ursache für Chromothripsis-ähnliche Effekte. Werden DSB nicht schnell genug repariert, kann es zu einer entsprechenden Umlagerung der Chromosomen kommen. Erst kürzlich wurden durch CRISPR-Cas ausgelöste Chromothripsis-Effekte auch bei Pflanzen identifiziert.5

DSB können auch auftreten, wenn Pflanzenzellen einer hohen Strahlungsdosis ausgesetzt werden, wie es bei der nicht gezielten Mutagenese der Fall ist. Der Unterschied bei NGT-Verfahren ist, dass die Anwendung regionsspezifisch ist und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Chromothripsis durch die Bearbeitung bestimmter Regionen steigen kann. Beispielsweise verursacht CRISPR-Cas9 in Pflanzen, in denen viele Kopien der zu bearbeitenden Gene vorhanden sind, mehrere DSB gleichzeitig. In ähnlicher Weise können viele DSB in unterschiedlichen Genen gleichzeitig durch sogenanntes Multiplexing, also der gezielten Veränderung mehrerer DNA-Sequenzen, induziert werden.6 Darüber hinaus kann die CRISPR-Cas-Maschinerie die Reparaturmechanismen in den Zellen stören und sie daran hindern, die ursprünglichen Genfunktionen wiederherzustellen. 

Fünftens: Bildung neuer Genprodukte 

Durch den Einsatz von CRISPR-Cas können Gene so verändert werden, dass keine mRNAs – die Moleküle, die genetische Informationen für den Aufbau eines bestimmten Proteins innerhalb der Zelle übertragen – mehr gebildet werden. Folglich wird die Entstehung des entsprechenden Proteins verhindert. Allerdings können auch unbeabsichtigt neue mRNAs gebildet werden, die zum Aufkommen von neuen Proteinen beitragen. 

Beispielsweise können Nukleasen zu einem Effekt führen, der als Exon-Skipping bezeichnet wird. Bei diesem Prozess werden mRNAs anders als vorhergesehen zusammengesetzt und führen zur Entstehung verkürzter mRNAs. Die Proteine, die auf Basis der Information in diesen mRNAs von den Pflanzenzellen gebildet werden, sind dann ebenfalls kürzer, können aber dennoch neue, unbeabsichtigte Funktionen in der Zelle übernehmen. Abgesehen davon können neue mRNAs auch durch Frameshift-Mutationen entstehen. Sie verursachen eine Verschiebung des Leserasters in der DNA-Sequenz, die zu einer falschen „Übersetzung“ der DNA-Information führt.7

Durch Exon-Skipping und Frameshift-Mutationen können neue mRNAs und Proteine, oder auch nicht-kodierende RNAs Auswirkungen auf die Genregulation und den Zellstoffwechsel haben. Beispielsweise wurde in einem Weizen, in dem 35 Genkopien ausgeschaltet wurden, eine Frameshift-Mutation als möglicher Auslöser für die Entstehung von entzündungsfördernden Proteinfragmenten diskutiert.8

Konsequenzen für eine umfassende Risikobewertung 

Die hier aufgeführte Kategorisierung von unbeabsichtigten genetischen Veränderungen, die durch NGTs entstehen, zeigt, dass eine Risikobewertung notwendig für NGT-Pflanzen ist. Wie erwähnt, können diese Veränderungen große Abschnitte der Chromosomen beeinträchtigen und zur Entstehung unbeabsichtigter Genprodukte führen. Obwohl einige dieser genetischen Veränderungen möglicherweise auch in der konventionellen Züchtung beobachtet werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, mit der sie an bestimmten Stellen im Genom auftreten. Daher können diese Effekte nicht generell mit denen der konventionellen Züchtung gleichgesetzt werden. In einigen Fällen sind durch die Anwendung von Sequenzierungsmethoden unbeabsichtigte Veränderungen in der Zelle identifizierbar und der Unterschied zum ursprünglichen Genom erkennbar. In anderen Fällen, in denen die Veränderung außerhalb der Zielregion der Nuklease stattfindet, sind diese schwerer nachzuweisen. Besonders große Deletionen und Chromosomenumlagerungen sind mit Standard-PCR-Tests kaum nachweisbar. Dementsprechend ist es wichtig, mehrere Ansätze zu kombinieren, um die unbeabsichtigten Veränderungen im gesamten Genom umfassend zu bewerten. Da die DNA-Sequenzierung nicht immer die Auswirkungen der genetischen Veränderungen identifizieren kann, sollten zusätzliche Methoden zur Analyse der entstehenden mRNA und Proteine angewendet werden. Erst wenn keine unbeabsichtigten genetischen Veränderungen festgestellt wurden, sollte sich die Risikobewertung auf die beabsichtigten Veränderungen konzentrieren. Nach Abschluss einer umfassenden molekularen Charakterisierung sollten weitere Schritte der Risikobewertung folgen, wie etwa die Untersuchung der Funktionalität der Pflanze, deren phänotypische Merkmale und dessen Zusammenspiel mit der Umgebung. Werden unbeabsichtigte genetische Veränderungen, die möglicherweise schädliche Auswirkungen haben, übersehen, können diese die Gesundheit, die Umwelt und auch die landwirtschaftliche Produktion gefährden. Daher schlussfolgert die FGU, dass die durch NGT verursachte Veränderung in die obligatorische Risikobewertung einbezogen werden muss, bevor die Pflanzen in die Umwelt freigesetzt oder auf den Markt gebracht werden.
 

  • 1EU-Parlament und EU-Rat (2001): Directive 2001/18/EC of the European parliament and of the Council of 12 march 2001 on the deliberate release into the environment of genetically modified organisms and repealing Council directive 90/220/EEC - commission declaration. Online: www.kurzelinks.de/gid268-da.
  • 2EU-Kommission (2018): Commission Directive (EU) 2018/350 of 8 March 2018 amending Directive 2001/18/EC of the EU Parliament and of the Council as regards the environmental risk assessment of genetically modified organisms. Online: www.kurzelinks.de/gid268-db.
  • 3Koller, F. / Cieslak, M. (2023): A perspective from the EU: unintended genetic changes in plants caused by NGT – their relevance for a comprehensive molecular characterisation and risk assessment. In: Front. Bioeng. Biotechnol. 11, www.doi.org/10.3389/fbioe.2023.1276226.
  • 4Koller, F. et al. (2023): The need for assessment of risks arising from interactions between NGT organisms from an EU perspective. In:  Environ Sci Eur 35, 27, www.doi.org/10.1186/s12302-023-00734-3.
  • 5Samach A. et al. (2023): CRISPR/Cas9-induced DNA breaks trigger crossover, chromosomal loss, and chromothripsis-like rearrangements. In: The Plant Cell, Vol. 35, 11, www.doi.org/10.1093/plcell/koad209.
  • 6Zsögön, A. et al. (2018): De novo domestication of wild tomato using genome editing. In: Nat Biotechnol 36, www.doi.org/10.1038/nbt.4272.
  • 7Lalonde, S. et al. (2017): Frameshift indels introduced by genome editing can lead to in-frame exon skipping. In: PLoS ONE 12(6), www.doi.org/10.1371/journal.pone.0178700.
  • 8Sánchez-León, S. et al. (2018): Low-gluten, nontransgenic wheat engineered with CRISPR/Cas9. In: Plant Biotechnol. J. 16, www.doi.org/10.1111/pbi.12837.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
268
vom Februar 2024
Seite 22 - 23

Pascal Segura Kliesow ist Molekularbiologe und Referent für Landwirtschaft und Lebensmittel beim Gen-ethischen Netzwerk.

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