„Das ist ein System, was hinterfragt werden müsste“
Interview mit der Autorin von „Albtraum Wissenschaft“
Prekäre Arbeitsbedingungen durch jahrelange Befristung und Machtmissbrauch im Wissenschaftsbetrieb wurden in den letzten Jahren heiß diskutiert. Die Biochemikerin Dr. Anne-Christine Schmidt hat ihre ganz persönlichen Erfahrungen über diese Dynamiken veröffentlicht.
Dr. Anne-Christine Schmidt in ihrem Garten. Foto: privat
Ihr Buch hat mich sehr neugierig gemacht, weil ich selbst einige Jahre im Forschungslabor gearbeitet habe. Können Sie, für Menschen, die es noch nicht gelesen haben, das Thema des Buches kurz einleiten?
Ich bin promovierte Biochemikerin, eigentlich habe ich Biologie studiert und bin dann durch meine Interessen und durch die Angebote an Stellen für Diplomarbeit und Promotion in eine rein chemische Fachrichtung geraten – wie das Leben so spielt, wie die Bedingungen einen so lenken. Ich habe dann über 15 Jahre in Laboratorien gearbeitet. Am Anfang fand ich alles toll und war sehr begeistert und ich habe sehr viel Leistung gebracht, bis es mir dann irgendwie immer schlechter ging. Vor allem die sehr prekären Arbeitsbedingungen, in die man da hineingestoßen wird, waren der Teil, der mich letztendlich krank gemacht und bis zur totalen Erschöpfung gebracht hat.
Bevor ich es gelesen habe, dachte ich, es geht vor allem um die Diskussion rund um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und um prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Aber es geht ja noch um viel mehr. Ihre Schilderung des Laboralltags hat mir sehr gefallen.
Ja, es geht um die zwischenmenschliche Atmosphäre in den Laboren, die Konkurrenz und diese Abhängigkeit von den Professor*innen – ich bin als hoch motivierter junger Mensch mit wenig Lebenserfahrung da hineingeraten. Ich habe darin gestrampelt und musste im Halbjahres- bis ein Jahres- bis drei Jahres-Rhythmus um den nächsten Arbeitsvertrag kämpfen. Ich hatte eine Habilitation verfasst und hatte sie schon eingereicht, aber habe dann alles abgebrochen. Mein Chef hat mich ohne Ende gemobbt und ich habe das dann nicht mehr ausgehalten und irgendwie bin ich dann nur noch in meinen Garten gegangen und dort erst wieder ein Mensch geworden.
Die Sachen, die Sie beschreiben, sind natürlich individuell, weil es Ihre Erfahrungen sind. Aber ich habe meine Erlebnisse aus dem Labor wiedererkannt. Ich kenne diese Erfahrung mit Mobbing innerhalb des Instituts, die Sie beschreiben, auch wenn ich selbst nicht betroffen war. Meine damalige Vorgesetze wollte nicht eingreifen, ihre Priorität war, dass gute Ergebnisse erzielt werden.
Ja, das ist es, es zählen nur die Ergebnisse und egal ob man darüber verrückt oder krank wird oder kein Geld bekommen hat. Ich sollte nebenbei noch unentgeltlich Lehrveranstaltungen geben – ich wurde da kräftig unter Druck gesetzt, mit Drohungen, dass ich dann meinen Arbeitsvertrag nicht verlängert bekäme, wenn ich dieses oder jenes Praktikum nicht anbiete. Das Schlimme ist, dass ich das im Grunde gerne gemacht habe, ich habe gerne mit den Studierenden gearbeitet. Ich habe mich auch für die Wissenschaft interessiert, aber unter diesen Bedingungen war es mir nicht möglich, mein Arbeitsleben so zu gestalten, dass es für mich befriedigend war. Es war einfach nur katastrophal.
Sie beschrieben an einem Punkt, wie jemand den gleichen Versuch machen soll wie Sie, mit demselben Messgerät. Wie diese Person ein Reagenz dazugegeben hat, obwohl eigentlich klar ist, man darf das nicht machen, aber es lässt die Ergebnisse schön aussehen. Es entspricht meinen Erfahrungen, dass Versuchsbedingungen so lange geändert werden, Versuche so oft wiederholt werden, bis das rauskommt, was rauskommen soll. Hauptsache man kann schöne Diagramme präsentieren.
Sie haben das richtig zusammengefasst. Es geht um die Diagramme, für Konferenzposter oder Publikationen. Was eigentlich inhaltlich dahinter steht, das ist teilweise sehr, sehr fragwürdig. Das geht unter, in dieser Atmosphäre der Konkurrenz und Selbstdarstellung. Was dann z.T. in den Publikationen veröffentlicht wird, kann kaum jemand nachvollziehen und kein Mensch ist in der Lage oder hat die Zeit, diese ganzen Versuche, die dann publiziert werden, auch noch mal nachzubasteln. Und selbst wenn die Zeit da wäre, würde am Ende vielleicht wieder was anderes rauskommen.
Deswegen habe ich in meinem Buch auch auf das Problem der Reproduzierbarkeit hingewiesen, die ja gerade im biochemischen Bereich eigentlich zentral ist. Aber sobald man da komplexere Fragestellungen hat oder pflanzliche Extrakte verwendet, dann funktioniert es eben auch mit dieser Reproduzierbarkeit der Versuche und der Messergebnisse nicht mehr so richtig, zumindest nicht so, wie es dem Wissenschaftsideal entspricht. Und da wäre so ein Ansatzpunkt diese ganze naturwissenschaftliche Herangehensweise zu hinterfragen, die aus reinen Laborversuchen besteht. Da greift jedoch keiner an, das würde das System und viele Promotionen ins Wanken und Professor*innen in Schwierigkeiten bringen. Das will ich eigentlich auch nicht. Es soll einfach nur irgendwie ehrlicher zugehen und gerechter. Also auch mal zu sagen, ein Thema gibt eben nichts her. Wenn nicht das rauskommt, was rauskommen soll und man kein schönes Diagramm mit kleinen Standardabweichungen erhält, dann muss man das so akzeptieren und dann ist es kein Leistungsmangel dieses Menschen, der seine Lebenszeit opfert. Mir fehlt die Diskussion darum, dass man negative Ergebnisse gar nicht publizieren kann.
Ich habe während meines Studiums mal ein längeres Neurobiologie-Praktikum gemacht, mit Bienen. Ich sollte einen bestimmten Versuch reproduzieren der publiziert war, um darauf aufzubauen. Ich habe das insgesamt bestimmt eineinhalb Jahre probiert und es ging nicht. Ich sollte es mit vielen verschiedenen Geräten mit verschiedenen Substanzen probieren, das Ergebnis stimmte nie. Möglicherweise war die Hypothese dahinter oder irgendwas an der Ursprungsstudie falsch. Aber das war für meine Vorgesetzten keine Option. Im Endeffekt war es sehr viel verschwendete Lebenszeit.
Ich habe mir auch viele Themen für Diplom- und Studienarbeiten ausgedacht, die in meine Forschung damals reinpassten. Im Nachhinein denke ich, da war auch vieles dabei, was man wirklich nur gemacht hat, damit dieses Thema weiterläuft, damit ich dann z.B. für die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Bericht über die Verwendung der Forschungsfördergelder schreiben konnte. Natürlich habe ich nur reingeschrieben, was gut geklappt hat. Was nicht funktioniert hat, das wurde nur in einem Nebensatz erwähnt. Das ist ein System, was hinterfragt werden müsste, aber das sieht im Moment nicht danach aus. Ich hoffe, dass ich das mit diesem Buch auch ein bisschen in die Öffentlichkeit tragen konnte und dass eben auch Menschen, die nicht in dieser Forschungslandschaft tätig sind, das begreifen oder zumindest einen Einblick bekommen, was dort passiert.
Sie schreiben auch über die Umweltverschmutzung, zu der man beiträgt, dass so viele Ressourcen verschwendet werden und mit giftigen Substanzen gearbeitet wird, da denke ich ebenfalls viel drüber nach. Ich habe so viel Einwegplastik im Labor verbraucht – für was?
Das ist genau der Punkt. Es gibt eine unheimlich hohe Ressourcenverschwendung in den Laboren. Die unzähligen Studierenden, die dort ihre Arbeiten machen sind alle hochmotiviert, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Es ist wirklich eine Frage der Wissenschaftsverwaltung von oben, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Wissenschaftspolitik, der Professor*innen. Die sind eigentlich die Verantwortlichen.
Da ist auch noch dieser Stromverbrauch. Es werden immer neue Großgeräte gekauft, neue Messgeräte und weil ja auch die Firmen, die diese Messgeräte produzieren, immer neue Dinge herstellen, und diese auch verkaufen wollen. Und dann ist die wissenschaftliche Arbeitsgruppe die beste – in Anführungsstrichen –, die das neueste Gerät kauft. So funktioniert diese Wissenschaft. Jetzt diskutiert man ab und zu mal über Umweltschutz auch in den Laboren. Wir sind Naturwissenschaftler*innen und letztendlich richten wir nur Schaden an der Natur an – was macht das für einen Sinn? Vor allem weil Viele eigentlich auch aus der Motivation heraus Biologie studiert haben, dass sie die Natur lieben und wissen wollen wie die Welt funktioniert.
Mir hat das Forschen im Labor auf jeden Fall auch Spaß gemacht und ich fand es spannend mit diesen Geräten. Während des Studiums hatte ich jedoch ganz verschiedene Fachrichtungen ausprobiert, aber mir wurde seitens der Dozenten*innen sehr klar gesagt, dass man z.B. mit Verhaltensbiologie keine Perspektive hat. Wie sind Sie im Labor gelandet?
„Wieso bist du denn nicht ins Feld gegangen, hast Feldforschung gemacht und bist in die Arktis gegangen, hast Tiere beobachtet?“ Das fragt mich selbst meine Tante. Ich sag: Ja okay, das kann ich jetzt machen, aber wer bezahlt das? Ich musste mich auch dem Druck der verfügbaren Arbeitsplätze irgendwie beugen. Und als ich damals promovierte, da gab es grade einen Hype um Umweltanalytik.
Da schauen wir, wie alles verschmutzt wird, um dann dieser Verschmutzung Einhalt zu gebieten – was natürlich nie passiert. Ich dachte damals, ja, Umweltanalytik, das wird gebraucht, das ist interessant und wichtig. Am Ende habe ich auch nur die Umwelt verschmutzt und habe nirgendwo irgendein Problem gelöst. Ich habe ja dann eigene Forschungsprojekte eingeworben, die sich in Richtung Umwelt, Toxikologie und Umweltanalytik bewegten. Ich weiß nicht, ob irgendein einziges Ergebnis zu irgendeiner positiven Konsequenz im Umweltschutz geführt hat. Trotzdem hatte ich immer noch die Idee, dass ich vielleicht was Gutes tue, das auch für die Allgemeinheit von Nutzen ist.
Und am Ende steht man da und wird von allen Leuten angeschaut. Wieso läuft die hier mit dem Doktortitel rum und gräbt nur in ihrem Garten? Und da kann ich dann immer nur sagen: Ja, ich hatte diese Befristungen und irgendwann ging es nicht weiter. Dann war ich krank und ich konnte nicht mehr.
Ich habe mich gefragt woher kommt eigentlich dieser innere Antrieb als Naturwissenschaftler*in, was treibt einen an, diese wissenschaftliche Neugier, was bringt Menschen dazu, sich diesen prekären Arbeitsbedingungen auszusetzen? Was denken Sie?
Ich finde es auch ganz schwierig zu erklären oder zu beschreiben. Sie haben das schon ganz gut benannt mit dieser wissenschaftlichen Neugier. Das denke ich auch, dass das ein großer Antrieb ist, eben die Neugier, die man so in sich hat. Ich habe im Nachgang viel drüber nachgedacht, warum ich das so lange durchgehalten habe. Am Anfang war es sicherlich die wissenschaftliche Neugier, aber irgendwann war ich dann so drin in diesem System und dann war es eigentlich eher ein Überlebenskampf, weil es nur noch um die nächste Vertragsverlängerung ging. Irgendwie fehlte mir der Weitblick, nach außen zu schauen, was könnte ich denn anderes machen. Man ist ja dann schon so hochspezialisiert.
Das Ganze hat einen sehr hohen Preis, letztlich setzt man auch die eigene Gesundheit aufs Spiel. Die eigene Lebensgeschichte. Man verbringt ja doch die schönste Zeit, zwischen 20 und 40 Jahren, im Labor. Mein Studium war ja noch okay, aber bei der Promotion ging es ja schon los, mit diesen ganzen Weiterbewilligungsanträgen. Bereits nach einem halben Jahr musste ich einen Bericht schreiben und die weitere Bewilligung meiner Stelle beantragen. Es dauerte ewig, bis ich dann überhaupt mal eine Rückmeldung bekam. Damit ging eine große Existenzunsicherheit einher. Was ist denn, wenn das jetzt aufhört? Das beißt sich eigentlich total mit der wissenschaftlichen Idee, wie Themen beforscht werden sollten, das kann man doch nicht zeitlich so einschränken und dann noch so abhängig machen von irgendwelchen Finanzquellen. Also entweder die Finanzen sind da und man kann das machen, aber dann zwischendurch immer wieder einen Antrag schreiben und bangen und zittern und nicht schlafen können, das ist schlimm. In so einem Zustand ist auch keine Familienplanung möglich. Irgendwann ist es dann einfach zu spät, ich habe keine Kinder. Irgendwann hat man keine Kraft mehr dazu. Also mir ging es ja dann teilweise so schlecht, also das wäre einfach nicht möglich gewesen.
Ich würde gern noch wissen, wie lange das alles her ist und wie Sie dann dazu gekommen sind, jetzt dieses Buch zu schreiben?
2014 bin ich aus dem Forschungsbetrieb raus, das ist also fast zehn Jahre her. Schon in den letzten zwei Jahren, als ich noch an der Universität gearbeitet habe, hatte ich begonnen, meine Erfahrungen aufzuschreiben. Da hatte ich noch ein eigenes Forschungsprojekt von der DFG, das habe ich selbst eingeworben und da ging es mir schon so schlecht. Dann passierte das im Buch beschriebene Mobbing, und ich habe versucht, es einfach für mich festzuhalten. Als ich dann arbeitslos war, habe ich meine Notizen über meine Erfahrungen zu einem Buch zusammengetragen. Schreiben macht mir Spaß und ich dachte, ich muss das jetzt an die Öffentlichkeit bringen. Ich habe das erst als eBook selbst veröffentlicht. Das hat ein Journalist gefunden und mir einen Verlag vermittelt, wo es noch wesentlich gekürzt worden ist.
Manche finden mein Buch wissenschaftsfeindlich aber so ist es eigentlich nicht gemeint. Es soll einfach nur aufzeigen, was in der Wissenschaft passiert, was mit den Menschen die dort arbeiten passiert. Welche Themen werden dort bearbeitet und mit welchen Mitteln? Ich wollte auch den Umweltschutz thematisieren und zeigen, dass die Naturwissenschaften letztlich auch Umweltsünden sind.
Gut, dass Sie das gemacht haben. Ich habe das Buch in die Hand genommen und konnte es gar nicht mehr weglegen – es ist einfach sehr gut geschrieben, sehr fesselnd.
Ich habe das Buch auch mal meiner Betreuerin auf dem Arbeitsamt gegeben, und sie war begeistert und etwas schockiert. Letztlich hat sie gesagt, sie weiß eigentlich, dass es so ist. Wir sagen immer, wir haben den Fachkräftemangel. Es ist aber teilweise auch andersrum, hat sie gesagt. Wir haben sehr viele hoch ausgebildete Leute, aber haben keine Arbeitsplätze für sie. Das fand ich interessant. Wir sind Fachkräfte und irgendwie so ausgebildet worden, dass es für die Katz war. Es ist gut zu wissen, dass man da nicht alleine ist, sondern dass es viele Leute betrifft. Es gibt kaum Professor*innenstellen, das heißt, es ist ein sehr großer Teil von Leuten, die das mitmachen. Es müsste was grundsätzlich am System geändert werden, das kann ich natürlich als einzelne arbeitslose Wissenschaftlerin nicht bewerkstelligen. Ich würde mich aber freuen, wenn das Buch viele Leser*innen findet und vielleicht am Ende irgendwas bewirken kann. Und sei es nur in den Köpfen der Leute.
Vielen Dank für das Gespräch und Ihr Buch!
Das Interview führte Dr. Isabelle Bartram.
Dr. Anne-Christine Schmidt ist Biochemikerin und Gärtnerin.
Schmidt, A.C. (2023): A – Albtraum Wissenschaft. Textem, 154 Seiten, Print: 16,- Euro. ISBN: 978-3-86485-286-2.
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