Rezension: Pränataldiagnostik und das Recht auf Inklusion

Ein paradoxes Menschenbild

Während Aktivist*innen und Behindertenverbände sich für mehr Inklusion einsetzen, wird das pränataldiagnostische Untersuchungsangebot stetig ausgeweitet und im gesellschaftlichen Alltag etabliert.

Cover Pränataldiagnostik und das Recht auf Inklusion

Die Erzieherin und Diplompädagogin Janna Neubauer zeigt in ihrem Buch die Zusammenhänge zwischen diesen meist separat diskutierten Entwicklungen auf und unterzieht sie einer kritischen Reflexion. In drei sorgfältig recherchierten Kapiteln stellt Neubauer ausführliche Vorüberlegungen zu Menschenbildern, Behinderung und Pränataldiagnostik an, wobei sie auch historische Rückblicke und Diskursentwicklungen nachzeichnet. All diese Inhalte führen auf das letzte Kapitel hin, in welchem die Autorin diese hergeleitete Diskrepanz zwischen Pränataldiagnostik und Inklusion reflektiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Hauptziel der Pränataldiagnostik die Vermeidung behinderten Lebens sei und versteht sie als subtile Selektionsform – als neue Eugenik. Dabei kommt ihre Argumentation und Sprache der von selbst ernannten „Lebensschützer*innen“ zum Teil gefährlich nahe. So wendet sie auf die vorgeburtliche Detektion von Behinderungen beim Fötus ein Würdekonzept an, „das jedem Menschen ein Lebensrecht und Schutzbedürftigkeit zuspricht“, schreibt von ungeborenen Kindern und Tötung von Menschen. Und doch stellt sie das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche nicht grundsätzlich in Frage, sondern begrenzt ihre Kritik auf Abbrüche nach pränataler Diagnose. Darüber hinaus schreibt Neubauer über Rollenzuschreibungen, Ängste sowie die Selbstbestimmung schwangerer Personen, wobei sie deren Komplexität und Ambivalenzen anerkannt. Schade ist, dass selbst bei dieser expliziten Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischen Rollenzuschreibungen und gesellschaftlichen Konstruktionen von Normen und Normabweichungen die Perspektive eine cis-hetero-normative bleibt und sich dies auch in der Sprache spiegelt. Dennoch beschert die Lektüre wertvolle Denkanstöße und hilfreiche Analysen für eine kritische Betrachtung dieser in Selbstbestimmungs- und Inklusionsdiskursen häufig vernachlässigten Thematik. So zeigt Neubauer beispielsweise die Verstrickungen von Schwangerschaftsvorsorge und Pränataldiagnostik auf, nimmt den Risikobegriff im Kontext der medizinischen Schwangerschaftsbegleitung unter die Lupe und bringt den direkten Zusammenhang zwischen Pränataldiagnostik und (späten) Schwangerschaftsabbrüchen unverblümt auf den Punkt. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Ausweitung der Untersuchungsangebote und dem vorherrschenden leistungsorientierten Optimierungsideal erinnert sie an die Aktualität und Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung der pränataldiagnostischen Praxis und ihrer Bedeutung für die Welt, in der wir zukünftig leben werden. Sie plädiert dafür, Pränataldiagnostik als Teil eines vielschichtigen Spannungsfeldes anzuerkennen und einzubeziehen in die Bestrebungen, gemeinschaftlich ein antiableistisches Menschenbild durchzusetzen. Das Buch verdeutlicht, dass dies ein unumgänglicher Schritt auf dem Weg hin zu einer wirklich solidarischen Gesellschaft ist.

  • Neubauer, J. (2022): Pränataldiagnostik und das Recht auf Inklusion – Zum paradoxen Menschenbild in der Gegenwartsgesellschaft. Psychosozial-Verlag, 207 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-83793-037-5.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
264
vom Februar 2023
Seite 9

Taleo Stüwe ist Mediziner*in und Mitarbeiter*in des GeN.

zur Artikelübersicht

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht