Bewegung
Ausstellung: Babys machen? „Eizellspende“ und Reproduktionspolitiken
Laut Koalitionsvertrag will die Ampel-Regierung „Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende (...) prüfen“. Eine konkrete Parteiposition zum Thema hat lediglich die FDP; eine breite gesellschaftspolitische Debatte fehlt bisher. In Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut (GWI) hat das GeN die Ausstellung Babys machen? „Eizellspende“ und Reproduktionspolitiken nach Berlin geholt. Die von Mirko Winkel kuratierte und auf der Forschung von Laura Perler basierende Ausstellung war vom 08. bis zum 29. Juni 2022 in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) zu sehen. Sie gab Einblicke in das Leben und die Motive von „Eizellspenderinnen“ aus Spanien, in Labore und Operationssäle einer Reproduktionsklinik und in die Erfahrungen einer Schweizer Empfängerin, die zweimal via „Eizellspende“ Mutter wurde. Das Kooperationsprojekt gab Raum zur Diskussion und Meinungsbildung und eröffnete eine längst überfällige feministische Debatte zum Thema „Eizellspende“. Die gut besuchte Vernissage mit Podiumsgespräch war ein gelungener Auftakt: Mit deutsch-spanischer Simultanübersetzung berichteten Fotografin Tamara Sánchez Pérez, „Eizellspenderin“ und Aktivistin Elia Muñoz sowie die Forscherinnen Laura Perler und Sara Lafuente Funes von ihren Beobachtungen und Erfahrungen in Spanien und standen mit ihrer Expertise für zahlreiche Fragen aus dem Publikum zur Verfügung.
Besonders intensiv waren der Austausch und die Diskussion im Rahmen der fünf begleiteten Begehungen, die GeN-Mitarbeiter* Taleo Stüwe im Ausstellungszeitraum anbot. Die Teilnehmenden erfuhren mehr zu den Hintergründen der Ausstellungsinhalte und konnten sich zu den medizinischen Abläufen und Risiken der „Eizellspende“ informieren. Auf dieser gemeinsamen Wissensbasis fanden stets lebendige Diskussionen zu den sozialen, politischen und ethischen Aspekten des Eizelltransfers statt.
Mit einem kritischen Grußwort der HBS-Vorständin Imme Scholz, einem Inputvortrag zu den Möglichkeiten und Risiken der „Eizellspende“ von Taleo Stüwe und einer von Antje Schrupp moderierten Paneldiskussion mit Ines Pietschmann und Susanne Schultz zu feministischen Perspektiven auf diese Reproduktionstechnologie, war die weiterhin online abrufbare Finissage ein gelungener Abschluss dieses großen Projekts und gleichzeitig ein Appell an Politik und Gesellschaft an dem Thema dranzubleiben. Eine nächste Gelegenheit die Ausstellung zu sehen, wird es ab Mitte November in Bern geben. (ts)
➤ www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4442
Petition gegen Patente
Zusammen mit Keine Patente auf Saatgut! sowie vielen anderen Vereinen haben wir Anfang des Jahres eine Petition ins Leben gerufen. Wir fordern die Minister*innen der EU-Länder auf, wirkungsvolle Maßnahmen zu entwickeln, damit Pflanzen und Tiere aus konventioneller Zucht nicht mehr patentiert werden können. Es soll endlich Schluss sein mit den Schlupflöchern und rechtlichen Auslegungen zugunsten des Patentamtes und der Konzerne. Die Petition stößt auf großes Interesse in der Gesellschaft: Immer mehr Vereine und Privatpersonen machen mit. Insgesamt wurden schon über 232.000 Unterschriften gesammelt! Wir bedanken uns bei allen, die unterschrieben und gesammelt haben! Im Bündnis haben wir entschlossen, die Petition bis zum 6. Dezember weiterlaufen zu lassen. Also jetzt noch mitmachen! (jd)
Hier unterschreiben: ➤ www.kurzelinks.de/gid262-ja
Viel Interesse an Gentechnik
Auch in diesem Jahr durften wir einen Workshop über Gentechnik in der Landwirtschaft für die Slow Food Youth Akademie durchführen. 2022 war die Akademie Teil der Europäischen Kampagne „Our Food, Our Future – We are hungry for justice“. Die Slow Food Youth Akademie ist ein aus acht Themen-Wochenenden bestehendes, interaktives Bildungsprogramm für junge (18–35 Jahre) Auszubildende, Berufstätige, Student*innen aus den Bereichen Gastronomie und Lebensmittelproduktion und für Interessierte. Die bunte Gruppe aus 35 jungen Menschen zeigte sich sehr interessiert an Funktionsweise, Anwendungen und Kritikpunkten der Gentechnik. Besonders Fragen zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, zu gesundheitlichen Aspekten für Mensch und Tier und der Koexistenz zur gentechnikfreien Landwirtschaft standen im Fokus. Jede freie Minute wurde zur Diskussion genutzt. Wir freuen uns sehr über das Interesse von jungen Menschen an dem Thema. Vor allem sie sind von den Folgen heutiger Entscheidungen in der Zukunft betroffen. (jd)
Informationen zur Slow Food Youth Akademie: ➤ www.kurzelinks.de/gid262-jb
(Un)Eingeschränkt entscheiden
Wie (un)eingeschränkt sind wir, wenn es um Reproduktion und Selbstbestimmung geht? In einer zweitägigen Onlineveranstaltung des Zentrums für Geschlechterstudien der Universität Paderborn haben sich Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen aus juristischer, sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht genau das gefragt.
Am 19. und 20.05.22 gab es Raum für spannende Vorträge, Diskussionen und Fragen u.a. zum aktuellen Forschungsstand, zu Schwangerschaftsabbrüchen, asymmetrischen Geschlechterverhältnissen, (hormoneller) Verhütung und zur Geburtenhilfe. Es ging um reproduktive Gesundheit und Gerechtigkeit aus einer intersektionalen feministischen Perspektive. Kirsten Achtelik bereicherte die Tagung mit ihrem antiableistischen Vortrag zu der Frage, wie selbstbestimmt reproduktive Entscheidungen im Bereich der Pränataldiagnostik in einer Gesellschaft mit strukturellen Hürden und Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung wirklich sein können. Die Veranstaltung war kommunikativ wie thematisch sehr gut gestaltet, sodass jede*r sich einbringen, etwas lernen und mitnehmen konnte. (lp)
Trauer um Hannelore Witkofski
Hannelore Witkofski ist tot. Sie starb am 23. April 2022 spätabends auf der Palliativstation des Westküstenklinikums, schmerzfrei – im Kreis von Freund*innen, die bis zuletzt bei ihr sein konnten. Dass Hanne so vermutlich einen guten Tod starb, ist ein Trost. Versöhnt mit den Verhältnissen in dieser Welt war sie bis zuletzt nicht.
Hanne wurde 1950 geboren, fünf Jahre nach dem Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in ein von Kontinuitäten geprägtes Deutschland. Für Menschen mit Behinderungen war dies kein guter Ort, sondern einer, in dem Selbstbestimmung verlangte zu Widerstehen. Hanne widerstand – und gehörte zu den Menschen mit Behinderungen, die seit den 70er Jahren die Behinderten- und Krüppelbewegung mit gestalteten und geprägt haben. Ihr ging es um die besondere Unterdrückung von Frauen mit Behinderungen, um die miserable Situation in den Werkstätten, in den Heimen, in den psychiatrischen Kliniken, um die verhinderte Mobilität und um Behördenwillkür: alles Themen, die auch heute noch so unerfreulich aktuell sind.
Ab Mitte der 80er Jahre und bis zu ihrem Tod war Bioethik das Thema, mit dem sich Hanne so viel beschäftigt hat. Von der humangenetischen Beratung, Pränataldiagnostik über Selektion, bis hin zur neuen Euthanasiedebatte. Wie stets hat sie ihren krüppelpolitischen Standpunkt mit einer weiteren Perspektive und Kritik verbunden: „Frauen, die Kinder zum Aussuchen wollen, die müssen sich nicht wundern, wenn der Staat Untertanen zum Aussuchen haben will.“
Jetzt ist Hanne tot. Und sie – mit ihrer Stimme, die schwer zu überhören war und mit der sie radikal gegen Selektion und Normierung angegangen ist, weil diese nicht „human“ sein können – fehlt. (ts)
Gekürzter Wiederabdruck des Nachrufs, der am 04.05.2022 bei kobinet-nachrichten erschien. Online: ➤ www.kobinet-nachrichten.org oder ➤ https://kurzelinks.de/gid262-tf.
GeN-Interview mit Hannelore Witkofski von 2019: ➤ www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4034/.
GID-Redaktion