In Bewegung
150 Jahre später – Wann passiert endlich was?!
Im Zuge des Abschlusses der Kampagne „Weg mit § 218“ wurden am 12. November 2021 eine Petition und ein Kampagnenaufruf an Vertreter*innen der neuen Bundesregierung auf dem Pariser Platz in Berlin übergeben. Die Kampagne wurde vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und weiteren Akteur*innen gestartet und umgesetzt. Der Aufruf „150 Jahre Widerstand gegen § 218 StGB – es reicht!“ erhielt Unterstützung von 172 Organisationen, darunter auch das Gen-ethische Netzwerk. Die Petition „Weg mit § 218: Abtreibung nicht länger im Strafgesetzbuch regeln“ verzeichnete bei der Übergabe über 100.000 Unterschriften. Entgegengenommen wurden die Forderungen des Aufrufes und die Petition von Politiker*innen aus den Parteien Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke. Die CDU/CSU sowie die FDP waren trotz postalischer Einladung nicht anwesend. Die Kampagne fordert die Regierung auf, die Paragrafen 218 und 219 vollständig aus dem Strafgesetzbuch (StGB) zu streichen und setzt sich somit für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein. Diese aktuelle Forderung nach sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung setzt den seit Jahrzehnten währenden feministischen Kampf für die Streichung des Paragrafen 218 StGB fort. Auch der Ausbau medizinischer Versorgung und fehlender Infrastrukturen sowie die Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen als medizinische Grundversorgung und die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen wurden gefordert. Auf der Veranstaltung gab es viele emotionale Redebeiträge von Organisationen, Aktivist*innen, Ärzt*innen und von Personen, die von Hürden, Schikanen und traumatisierenden Erlebnissen in Zusammenhang mit erlebten Schwangerschaftsabbrüchen berichteten. Für Paragraf 219 wurde bereits vom Justizminister der neuen Regierung ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der dessen Streichung vorsieht. Für die Veranstalter*innen sei dies eine längst überfällige Maßnahme und stelle keinen Kompromiss dar. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Petition und an dem Aufruf machen klar: der Paragraf 218 muss weg! Dieser steht weiterhin im Strafgesetzbuch. Eine Kommission die auch „Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft“ eruieren soll, wird es zur Aufgabe haben, „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs“ zu prüfen. So hat der Kampf um die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen also auch nach mehr als 150 Jahren noch kein Ende. (lp)
➤ www.wegmit218.de
➤ www.kurzelinks.de/gid260-lb
#WHES22: Essen ist politisch!
Die jährliche Demonstration des „Wir haben es satt“-Bündnisses in Berlin wurde aufgrund der steigenden Infektionszahlen auf den Sommer verschoben. Damit die neue Regierung trotzdem den Startschuss für eine neue Agrarpolitik hört, wurde die Online-Mitmach-Aktion #StaffelLauch ins Leben gerufen. Es wurden über 1.500 Videos mit Forderungen eingereicht, die unter dem Hashtag #Staffellauch auf Social-Media-Kanälen wie Twitter oder Instagram zu finden sind. Das Bündnis, zu dessen Trägerkreis auch das GeN gehört, setzt sich seit Jahren für die Agrarwende ein. Im Vorfeld der diesjährigen Aktion und im Rahmen der alternativen Grünen Woche der Heinrich-Böll-Stiftung gab es zahlreiche spannende Veranstaltungen, zu denen auch das GeN einen Beitrag geleistet hat. Auf dem „virtual food and farming slam“ stellte GeN-Mitarbeiterin Judith Düesberg eine aktuelle Petition gegen Patente auf Saatgut vor. (pv)
Designer Babys stoppen!
Unter dem Slogan „Stop Designer Babies“ (SDB) hat sich ein internationales Bündnis aus Wissenschaftler*innen, Feminist* innen, Umweltschützer*innen, Behindertenrechtsaktivist* innen und anderen zusammengeschlossen, um sich für ein globales Verbot von Keimbahnveränderungen und Klonen einzusetzen. Nachdem der chinesische Wissenschaftler He Jiankui Ende 2018 die Welt mit der Nachricht konfrontierte, er habe die ersten genetisch veränderten Kinder „erschaffen“, war der Schock zunächst groß. Doch Forderungen nach einem Moratorium für Experimente dieser Art konnten sich bei den weltweit führenden Wissenschaftsorganisationen trotz aller ethischen Probleme nicht durchsetzen. Stattdessen wird munter weiter geforscht, um den Weg zu vererbbarem Genome Editing zu ebnen. SDB befürchtet einen Versuch, Keimbahnveränderungen 2023 in Großbritannien zu legalisieren. Um soziale Bewegungen für das Thema zu sensibilisieren plant die Initiative am 9. März 2022 in Kooperation mit dem GeN, der US-amerikanischen Alliance for Humane Biotechnology und der australischen Organisation GeneEthics eine „Mini-Konferenz“. Auf der kostenlosen Veranstaltung wird es Inputs von der Aktivistin Vandana Shiva, der Ethikerin Donna Dickenson, der Historikerin Tina Stevens und anderen Expert*innen geben. (ib)
Gesundheitsdaten schützen
Datenschützer*innen fordern vom neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein überlegtes Vorgehen bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems. Mit einer Pressemitteilung machte ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen, darunter auch das GeN, auf die Datenschutzprobleme rund um die Einführung der elektronischen Patient*innenakte (ePA) aufmerksam. Krankenkassen müssen sie ihren Mitgliedern seit Anfang 2021 anbieten. Sorgen macht den Autor*innen die Passage des Koalitionsvertrages in der von einem Opt-out bezüglich der Nutzung der ePA die Rede ist. Opt-out bedeute jedoch „gerade das Gegenteil von Freiwilligkeit“: Jeder Mensch bekommt automatisch eine ePA und kann dies lediglich im Nachhinein durch Widerspruch korrigieren. Mit Verweis auf die Kritik von Spitzenverbänden von Ärzt*innen, Apotheker*innen und Krankenhäusern an der Einführung des Elektronischen Rezepts (eRezept) stellen die Datenschützer*innen die Schnelligkeit der Digitalisierung generell in Frage. Das Bündnis schlägt u.a. eine 12-monatige Testphase der Telematik-Infrastruktur vor, die von Ärzt*innen- und Patient*innenenvertreter*innen sowie Datenschützer*innen evaluiert werden soll. (ib)
➤ www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4362
Protest gegen die Monopolisierung von Saatgut
Anlässlich des 60. Geburtstages des Internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (Union internationale pour la protection des obtentions végétales – UPOV) haben mehrere Organisationen vor dem Sitz in Genf für die Abschaffung von UPOV demonstriert. Mit der Protestaktion machten sie auf die weltweite Monopolisierung von Saatgut und die Bedrohung der Ernährungssouveränität aufmerksam, welche UPOV vorantreibt. Einige Aktivist*innen verkleideten sich als Nutzpflanzen und legten sich selbst in Ketten – als Symbol für die schwierige Situation der Bäuer*innen, die aufgrund der Gesetze zum Sortenschutz nach UPOV das Saatgut nicht mehr frei verwenden können. Die Aktion fand im Rahmen weltweiter Proteste gegen UPOV statt, die von mehr als 300 Organisationen unterstützt wurden. (pv)
Volker van der Locht ist tot
Volker war Wissenschaftler, Behindertenaktivist mit gesellschaftskritischer Weitsicht. Das ist wahrlich nicht häufig. In seiner Dissertation „Von der karitativen Fürsorge zum ärztlichen Selektionsblick“ forschte Volker über das Kinderheim Franz-Sales-Haus in Essen zur Zeit des Nationalsozialismus. Das Thema ließ ihn lebenslang nicht mehr los. Dazu veröffentlichte er international, wühlte in Archiven nach Lebensgeschichten deportierter Kinder und konnte manche Anfrage von Hinterbliebenen über deren Schicksal beantworten. In diesem Kontext arbeitete er mit dem Verein zu Aufarbeitung der Zwangssterilisation und Euthanasie zusammen. Sein Motto: Wenn es keinen Gedenktag für diese Menschen gibt, müssen wir uns unsere Erinnerungsdaten selbst schaffen.
Mit seinem kritischen Blick auf staatliche Institutionen, als Mensch mit Behinderung und mit radikaler Kapitalismuskritik wurde allerdings nichts aus einer Anstellung an einer Universität. Volker betätigte sich als Aktivist der deutschen Behindertenbewegung. Zum Beispiel als Redakteur der „Randschau“, einer Zeitschrift der Behinderten- und Krüppelbewegung. Im Newsletter Behindertenpolitik schuf er später eine unvollständige Chronologie der Jahre 1933 bis 1945, die heute im „Archiv der Behindertenbewegung“ aufzufinden ist. Er wagte viele kritische Artikel, zum Beispiel über einen Lieblingsbegriff der Gegenwart, die Inklusion. (Newsletter Nr.22/2008) Volker schrieb nicht nur: Er war Hausbesetzer (1982), protestierte gegen die Einladung von Peter Singer (1989). Unter so witzigen Slogans wie „Krüppel aus dem Ei“ machte er direkte Aktionen gegen die behindertenignorierenden Verhältnisse oder verlieh mit anderen auch mal das „Goldene Holzbein“. In jüngerer Vergangenheit unterstützte er den Kampf der ehemaligen Heimkinder, die in den 1960er Jahren insbesondere in katholischen Einrichtungen sexuell missbraucht wurden, gegen das Vergessen und für Entschädigungen.
Volker war gradlinig, solidarisch und kritisch. Das und sein Lachen werden uns fehlen.
Von Erika Feyerabend (BioSkop e.V., mit behindertenpolitischem Newsletter)
GID-Redaktion
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