Ungleiche Soja-Standards
Der WWF stellt bei nachhaltiger Soja Prinzipien über Verantwortung
Mit seiner Politik am Roundtable for Responsible Soy (RTRS) hat der WWF Unmut und Kritik aus der ganzen Welt auf sich gezogen. Es sind nicht nur die Kolleginnen und Kollegen in anderen Nichtregierungsorganisationen - gelinde gesagt - iritiert. Auch die Partner aus Handel und Industrie, die bereits seit Jahren mit grossem Erfolg - und dem Segen des WWF - an einer nachhaltigen Soja-Zertifizierung gearbeitet haben, fühlen sich geradezu brüskiert. Die Prinzipien des Roundtable wurden jetzt verabschiedet - Gentechnikfreiheit ist kunstvoll ausgeklammert.
Unzweifelhaft sind NGOs wichtige Teile der Zivilgesellschaft, und gerade in demokratisch strukturierten Ländern verfügen sie über das Recht, beträchtliche Einflussnahme auszuüben. Das ist gut so und selbst politische Gegenspieler würden dies vermutlich nicht ernsthaft einschränken wollen. Mit Rechten geht jedoch nahezu immer auch Verantwortung einher. Dies insbesondere dann, wenn der Inhaber von Rechten - stillschweigend oder gar ausdrücklich - Versprechungen abgegeben hat oder ein besonderes Ansehen geniesst.
WWF mit Big Business
Aktuell steht Verantwortung sogar buchstäblich auf der Agenda vieler NGOs - mehr oder minder freiwillig: An dem so genannten Runden Tisch für verantwortungsbewussten Soja-Anbau (Roundtable for Responsible Soy - RTRS) hat sich insbesondere der WWF mit Big Business eingelassen. Daran ist an sich nichts Verwerfliches. Allerdings stellt sich angesichts der Einzelheiten die Frage, ob der WWF sich damit als verantwortlich handelnder Partner darstellt. Denn, wie Ende Mai auf der Jahreshauptversammlung des RTRS in Campinas im brasilianischen Bundesstaat São Paulo verabschiedet, gehört die Gentechnikfreiheit nicht zu den Standards und Kriterien einer verantwortungsbewussten RTRS-Sojaproduktion. Mit dem Hinweis, der RTRS sei „technology-neutral“ wähnt man die gesamte Thematik einfach vom Tisch zu haben.
Basler Kriterien
Der WWF steht aber seinerseits in verschiedener Weise in der Verantwortung: Er ist natürlich den Rechtsordnungen der Länder verpflichtet, in denen er aktiv ist, seinem eigenen Mission Statement sowie seinen Guiding Principles und auch der gewaltigen Anzahl seiner privaten und industriellen Spender in allen Teilen der Welt. An diesem Punkt beginnt es interessant zu werden, denn: Bereits im März 2004 hatte der WWF Schweiz, wie es dem grundlegenden Konzept des WWF entspricht, mit dem Schweizer Einzelhändler Coop den lobenswerten Schritt gemacht, eine (weitere) Partnerschaft einzugehen. Man war und ist sich einig, der Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes und anderer so genannter besonders schützenswerter Gebiete entgegentreten zu wollen. Neben ökologischen, sozialen und rechtlichen Kriterien verlangen die Basler Kriterien ganz selbstverständlich auch Gentechnikfreiheit unterhalb der durchweg als Nachweisgrenze angesehenen Schwelle von 0,1 Prozent - zur Wahrung der Biodiversität und auch weil dies in den Augen der meisten Einwohner Europas sowie vieler anderer Länder ein zentraler Pfeiler von Nachhaltigkeit ist. So weit - so gut. Zwei Spezialzertifizierer 1 setzen im Folgenden auf den Basler Kriterien jeweils einen Industriestandard auf; während der eine dieses Geschäft nicht sehr weit betreibt, zertifiziert der andere seit der brasilianischen Sojaernte 2006 jährlich zunehmende Tonnagen nach seinem ProTerra genannten Standard.
Erste Lieferungen
Noch im Juni 2006 setzt sich der WWF Schweiz gemeinsam mit seinem Projektpartner Coop im Basler Rheinhafen in Szene, als zufällig ein Schweizer Großabnehmer als erster europäischer Kunde die ersten 1.200 Tonnen nach ProTerra zertifizierten Sojaschrots in Empfang nimmt. Kurz darauf, am 12. Juli des Jahres, veröffentlicht der WWF stolz eine Erklärung, wonach beide Industriestandards mit den Basler Kriterien im Einklang (compliant) seien, der eine jedoch, in Ermangelung des Kriteriums Gentechnikfreiheit, nicht mit „Basel“ kompatibel sei. Diese nicht klar nachvollziehbare Evaluierung durch den WWF Schweiz führt bei den beteiligten Unternehmen zu teilweise auch vorgetragenen Irritationen, die aber angesichts des erfolgreich verlaufenden Geschäfts (siehe auch unten) bald in den Hintergrund traten. Man sollte meinen, nun seien der WWF und alle Beteiligten in der Soja-Lieferkette rundum glücklich angesichts eines erfolgreich in die alltägliche Praxis umgesetzten Standards und darauf bedacht, dass zusehends mehr Anbieter und Abnehmer in diesem Markt auftreten.
Roundtable for Responsible Soy
Leider ist dem aber nicht so. Der WWF besinnt sich erneut auf seine Prinzipien und Rituale, die da lauten multi-stakeholder process, roundtable et cetera pp. Und weshalb sollte man unbedingt auf die seit über zehn Jahren von etwa drei Vierteln der Einwohner Europas jedes Jahr erneut zum Ausdruck gebrachte Präferenz für gentechnikfreie Produktion von Lebensmitteln Rücksicht nehmen? Mit den Mitteln der beiden Partner, aber auch mit Steuermitteln der Schweiz, waren die Basler Kriterien für verantwortungsbewussten Soja-Anbau in Auftrag gegeben worden. Sie geben auf 38 Seiten eine wunderbare Anleitung ab, nach der in den Folgejahren zwei Industriestandards erstellt werden, was wiederum dazu führt, dass schliesslich im Jahre 2008 zwölf Prozent der gesamten brasilianischen Sojaernte nach einem den Basler Kriterien entsprechenden Standard zertifiziert und - zumeist als Sojaschrot - an Abnehmer in Europa ausgeliefert werden. Trotzdem unterstützt und promotet der WWF den Ende 2004 in London ins Leben gerufenen Roundtable for Responsible Soy, dem nach und nach immer mehr Mitglieder beitreten. Interessanterweise nimmt die Stakeholder-Gruppe Industry, Trade & Finance rasch überproportional stark zu. Neben allen großen multinationalen Agrarkonzernen, den so genannten ABCDs 2 stoßen bald auch BP und Shell hinzu, bis schliesslich 2009 die Unternehmen Syngenta und Monsanto den Reigen der internationalen Großindustrie zunächst einmal effektvoll abschließen. Nun ist an diesem Vorgang an sich nichts auszusetzen. Die Mitglieder des RTRS sind schließlich darauf bedacht, Sojaanbau verantwortungsbewusst zu betreiben, und das nicht nur in Brasilien. Das weltweit drittgrösste Erzeugerland, Argentinien, ist mit Mitgliedern aus der Industrie ebenso vertreten wie Paraguay, aber auch Indien und letztlich sogar China. Die schiere Mitwirkung des WWF adelt das Nachhaltigkeitszertifikat dergestalt, dass es neue Mitglieder wie geblendet auf das helle Licht der RTRS Mitgliedschaft zufliegen lässt. Nein, die Mitarbeit am RTRS irritiert nicht! Sondern es ist die Verschwiegenheit des WWF hinsichtlich einer reibungslos funktionierenden Plattform, die die Organisation selbst - Ehre, wem Ehre gebührt! - nur wenige Jahre zuvor federführend mit aus der Taufe gehoben hat. Der WWF handelt nicht nur gegenüber den Mitgliedern des Executive Boards des RTRS, sondern vor allem gegenüber neuen Mitgliedern des RTRS und - nicht zuletzt - seinen eigenen Partnern der Plattform Basler Kriterien verantwortungslos.
Nachhaltigkeit mit oder ohne Gentechnik?
Der Autor dieser Zeilen kennt eine nennenswerte Anzahl europäischer Lebensmittelhersteller und Markeninhaber, die durch das Getöse des RTRS inzwischen deutlich verwirrt sind. Was ist denn jetzt - gilt die von ihnen implementierte Gentechnikfreiheit als Teil von Nachhaltigkeit bei der Sojaproduktion nun oder etwa doch nicht? Anders herum gefragt: Ist der WWF noch der zuverlässige Partner von Industrieunternehmen als der er sich seit Jahrzehnten ausgibt? Und was ist mit den seit einiger Zeit aus Argentinien vermeldeten Katastrophennachrichten zu überdeutlichen Hinweisen auf Embryonalschäden aufgrund von Glyfosat, dem Wirkstoff des Herbizids Roundup, der eigentlichen Existenzberechtigung von Roundup-Ready-Sojabohnen?3 Kein Wort fällt darüber Ende Mai auf der zweitägigen RTRS-Konferenz oder der anschließenden Mitgliederversammlung! Stattdessen stimmt des WWF wissenschaftliche Wunderwaffe Jason Clay die Anwesenden auf die zu verhindernden Katastrophen insbesondere bei der Regenwaldzerstörung ein und macht kein Hehl daraus, dass er selbst ein klarer Befürworter der Gentechnik ist.
Einfluss des WWF-US
Der Verfasser dieser Zeilen konnte sich in den vergangenen Monaten als außen stehender Beobachter ein Bild davon machen, dass Dutzende von NGOs versuchten, den WWF umzustimmen. Aber das ist wohl am Einfluss von Jason Clay und seinem WWF-US gescheitert. Immerhin kommen mehr als ein Viertel aller weltweiten Spendeneinnahmen des WWF aus den USA. Da heißt es dann wohl für die WWF-Organisationen in anderen Ländern sowie deren Partner aus Industrie und Handel: Augen zu und durch!
Jochen Koester ist Gründer von TraceConsult in Genf, einem Beratungsunternehmen mit Fokus auf der praktischen Umsetzung ethischer und nachhaltiger Standards in der Lieferkette der Lebensmittelerzeugung. Im Netz unter: www.traceconsult.ch.
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